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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Schuldirektor
Oberstudienräte
Lehrer
Schüler
Hausmeister
Hund des Hausmeisters
Tauben auf dem Schulhof
Urinstein in der Schultoilette
Ich
     
    Unter diesen Umständen musste ich dringend Souveränität beweisen, denn wenn mir die Sache erst einmal aus der Hand glitt, würde es nur noch den letzten Ausweg geben, nämlich heulend aus der Tür zu rennen und den Rest meines Lebens in Scham in einer Hütte im Wald zu hausen. Wahrscheinlich neben meinem früheren Biolehrer, Herrn Bommelheim.
    »Ja, das ist richtig, noch nicht offiziell …«
    »Offiziell?«
    »Ja, offiziell, und jetzt halt deine dumme Fresse und schlag das Buch auf …«, ging es mir durch den Kopf.
    »Offiziell heißt, dass ich noch dabei bin, zu lernen«, erläuterte ich geduldig.
    »Wir lernen auch alle noch«, schallte es mir entgegen, allgemeines Gelächter setzte ein.
    Ich hätte mich lieber nackt und mit Marinade bestrichen vor ein Löwenrudel gestellt, als vor diesem Haufen an lustlosen Schülern den Deppen zu geben, langsam verstand ich, warum die Laune meines Vaters immer so mies war, wenn er von der Schule nach Hause kam.
    »So, heute geht es ja um die Küchenuhr von Wolfgang Borchert«, ich zeigte auf die »Kirchenhure« an der Tafel, »bitte schlagt eure Deutschbücher auf Seite 124 auf.«
    »Hab kein Buch!«, tönte Tillmann aus der zweiten Reihe. Auf seinem T-Shirt war ein Gangsterrapper abgebildet, der eine Waffe auf den Betrachter richtete.
    »Wie, du hast kein Buch?«
    »Vergessen …«, sagte der Junge, dem ein normaler Satzbau wohl nicht geheuer war.
    »Dann schaust du halt bei deinem Nebenmann rein«, riet ich genervt.
    »Hat auch kein Buch … vergessen«, sagte Tillmann erneut. Borcherts Trümmersprache wurde hier anscheinend immer noch praktiziert.
    »Gut, dann setzt euch so zusammen, dass ihr gemeinsam ins Buch schauen könnt.« Ein riesiger Trubel setzte ein, Stühle wurden gerückt, Tische knallten gegeneinander, es klang, als würde das Gebäude saniert oder gleich niedergerissen.
    »Wer möchte denn jetzt etwas zu der Kurzgeschichte sagen?«
    Die altbekannte Stille setzte wieder ein. Ich konnte eine Mücke durch den Raum schwirren hören, mir war, als hätte sie mich gerade ausgelacht.
    »Wer hat die Geschichte denn gelesen?«, fing ich bei den Basics an. Vielleicht hätte ich zuvor noch überprüfen sollen, wer der deutschen Sprache oder des Sauerstoffgewinns durch Atmen mächtig war, ein paar der Anwesenden wirkten verdächtig scheintot.
    Auch Herr Klober in der letzten Reihe stellte sich tot, seine Augen klebten mittlerweile an der Klassendecke, die von einer Unzahl von schallschluckenden Löchern durchsiebt war. Wahrscheinlich zählte er sie gerade, während ich mir langsam, aber sicher jede Selbstachtung vom Körper schabte.
    Insgesamt streckten sich zwei Arme zaghaft in die Luft, beide in der ersten Reihe. Der Rest blieb regungslos sitzen und warf mir hasserfüllte Blicke zu.
    »Gut, zwei immerhin, der Rest liest die Geschichte jetzt noch mal leise nach und sagt dann etwas dazu«, ermahnte ich die Klasse, mit viel Murren wurde begonnen, die anderthalb Seiten zu konsumieren.
    Geschlagene zwanzig Minuten später meldete sich der erste Schüler.
    »Bin schon halb durch, kann ich aufs Klo?«
    »Dürfen ja, ob du kannst, weiß ich nicht …«, antwortete ich keck und kam mir reichlich witzig vor.
    Die versammelten Schüler schauten mich an, als hätte ich gerade das große Fips-Asmussen-Witzebuch auf der Jahresversammlung der Hamas ausgepackt.
    Der Junge ging, nicht ohne mir noch einen verächtlichen Blick zuzuwerfen, auf die Toilette und ließ uns zurück in der brütenden Hitze des Klassenraums, in dem es nach gammligen Bananen und Käsebroten roch.
    »Möchte sonst noch irgendjemand etwas zu der Geschichte sagen?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
    »Na gut, dann sag ich halt etwas dazu. Offensichtlich wird ja in diesem Text eine sehr wortkarge Sprache verwendet, weiß jemand, wie man dieses Stilmittel nennt?«
    »Trümmersprache«, raunte es aus der Ecke, in der diese anscheinend am meisten gesprochen wurde.
    »Richtig, wer war das?«
    Keiner meldete sich, bis sich plötzlich eine bleiche Hand durch die schwüle Stille des Klassenraums schraubte. Es war Olaf Maiwald, ein Junge, der das unvorteilhafte Schicksal hatte, wie eine aufgeblasene Weißwurst auszusehen: dicke Backen und helle Haut, die schlaff über einen zu breiten Körper hing, der von einer roten Badekappe aus Haaren gekrönt

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