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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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wurde.
    »Streeeeba«, schallte es direkt hinter ihm aus der menschlichen Bildungsproblematik Suleyman, dann schlug jemand Olaf feste in den Nacken und es machte ein Geräusch, als hätte man mit einem Nudelholz auf ein Kotelett gehauen.
    »Raus«, schrie ich, die erste rote Karte war erteilt, kurz ging ich im Kopf noch einmal durch, ob das magere Quäntchen Befehlsgewalt, das ich in meiner Position als Praktikant innehatte, überhaupt ausreichte, um Platzverweise zu verteilen. Ich entschied mich einfach noch ein zweites Mal und etwas lauter »RAAAUS« zu rufen.
    Olaf Maiwald stand auf und wollte zur Tür gehen, ich konnte ihn gerade noch abhalten und Suleyman zur Tür bitten, der widerwillig aufstand und auf einen bösen Blick von Herrn Klober hin wahrhaftig den Klassenraum verließ. Im gleichen Moment kam der Klogänger zurück. In der Klasse herrschte mittlerweile die meditative Ruhe eines Bahnhofsvorplatzes.
    »Suleyman war’s gar nicht, ich war’s«, sagte Karol, der neben Olaf saß. So viel Ehrlichkeit musste bestraft werden.
    »Dann du halt auch raus!«, lautete mein salomonisches Urteil. Eigentlich gefiel mir der Gedanke, die Klasse so weit auszudünnen, bis nur die übrig blieben, die Lust auf Zusammenarbeit hatten, ganz gut.
    »Darf Suleyman dann wieder rein, Herr Bielendorfer?«, fragte Karol auf seinem Weg nach draußen.
    Das »Herr Bielendorfer« gefiel mir ebenfalls, vielleicht sollte ich noch mehr Leute rauswerfen, wenn das zu plötzlichen Anfällen von Höflichkeit führte.
    »Ach, der fühlt sich da schon ganz wohl …«, sagte ich, auch um Olaf Maiwalds speckigen Nacken ein wenig zu schonen.
    »So, wer möchte denn jetzt mal etwas über die Küchenuhr sagen?«
    »Kaputt«, rief Tillmann, der Buchvergesser.
    »Geht das auch im ganzen Satz?«
    Tillmann zuckte mit den Schultern.
    »Du sollst einen ganzen Satz bilden … mein Gott, mit TUWORT!«, fing ich schon selbst an mich mit dem Deutsch aus der Kinderfibel zu blamieren.
    »Die Küchenuhr tut kaputt«, sagte Tillmann stolz. Es war faszinierend, vielleicht musste ich ihm gleich auch noch die Schuhe binden oder ihn zum Klo begleiten.
    »Nein, die Küchenuhr ist kaputt«, kastrierte ich meine Stimmbänder. Langsam begann das Brüllen, das ich vom Mittagessen mit meiner Mutter kannte.
    »Ist ist doch kein Tuwort!«, proklamierte Tillmann, jetzt ließ er hier plötzlich den Linguisten raushängen.
    »Natürlich ist es das. Auch das einfache ›Sein‹ ist eine Tätigkeit.« Tillmann schaute mich an, als hätte ich gerade einen Fisch aufgeschlitzt und dabei aramäische Beschwörungsformeln gemurmelt.
    »Egal, jedenfalls ist die Uhr kaputt … und was soll das bedeuten?«
    Die bisher stille Rebecca meldete sich, sie hatte sich eine fesche rote Strähne in ihren blonden Pony gefärbt, es machte den Eindruck, als würde sie aus dem Kopf bluten.
    »Dass keiner weiß, wie spät es ist …«, schlussfolgerte sie. Jetzt war ich mir sicher, sie blutete aus dem Kopf, anders war die Antwort nicht zu entschuldigen.
    »Schon naaah dran … noch jemand?«
    Die völlige Lautlosigkeit setzte wieder ein, man hätte meinen können, wir waren im All oder zumindest im geistigen Vakuum.
    »Gut, dann verrate ich es euch … die Küchenuhr ist hier nicht nur ein Sachgegenstand, sie reicht in ihrer Bedeutung weit über die Eigenart als Dingsymbol hinaus und ist vielmehr einer Reliquie gleichzusetzen.«
    Ruhe. Keine Stille … nein, Ruhe. Anerkennung. Die anscheinend sinnlosen Wörter, die Herr Bielendorfer gerade zu einem Satz geformt hatte, klangen so fremd und weise, dass ein Bruchteile von Sekunden dauernder Zustand der Bewunderung einsetzte, in dem ich mich genüsslich aalte.
    »Für den namenlosen Protagonisten ist die Uhr wie ein Gegenstand von magischer Heilkraft, sie ist wie eine symbolische Chiffre für den höheren Sinn der Geschichte«, fachsimpelte ich weiter.
    Plötzlich meldete sich Stefanie Schulte zu Wort, ein Mädchen, das leicht als alleinige Insel des Bildungsstands identifizierbar war. Spießige Hornbrille, strähniges, braunes Haar, im Gegensatz zu den anderen mit einem Buch ausgestattet.
    »Ja, Stefanie, bitte?« Ich erwartete die erste sinnvolle Wortmeldung des Tages in 3 … 2 … 1 …
    »Das haben Sie bei Wikipedia abgeschrieben«, krächzte Stefanie in einer so eigenartig hohen Stimmlage, dass man vermuten konnte, sie müsste jedes Wort durch eine Orgelpfeife quetschen.
    Ertappt. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade als Ehrengast einen

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