Lehrerkind
Lehramtsstudium erzählte, während meine Eltern mich verständnislos ansahen und nur synchron »Warte mal auf die Praxis« unkten.
Und sie hatten recht gehabt, verdammt. Direkt meine erste reguläre Stunde als Lehrerpraktikant hatte mich an meine nervlichen Grenzen geführt. Ich war des Plagiats überführt worden, hatte fast die halbe Klasse des Raums verwiesen und war kurz davor gewesen, mich in einer Bodenlache aus Schweiß aufzulösen. Ich war ungeeignet für diesen Beruf. So einfach war das. Wo ich mich im Studium noch über den Zusammenbruch eines Kommilitonen amüsiert hatte, war ich jetzt selbst gescheitert. Ich wollte den Fakt, dass meine Eltern wie immer recht gehabt hatten, einfach ausklammern, aber das ging nicht. Auch weil sie es, wenige Sekunden, nachdem ich aus dem Auto gestiegen war, abermals wiederholten, als sei bei ihnen die Platte gesprungen.
»Na, wer hat recht gehabt?«, fragte meine Mutter und drückte mich an sich.
Ich sagte gar nichts und schloss sie in meine Arme.
Vom Lehrerkind … zum Lehrerkind
Als wir das Haus betraten, war alles so wie immer, die moderne Kunst meiner Mutter (vor der mein Vater immer nur kopfschüttelnd herumstand und sich über den Preis ärgerte) war genauso noch da wie das Loch in der weißen Ledercouch, das ich als Kind mit einer Lupe hineingebrannt hatte.
»In deinem Zimmer schlafen jetzt die Hunde, das stört dich doch nicht?«, fragte meine Mutter rhetorisch und erwürgte spontan das Gefühl von Nostalgie, das ich beim Eintreten in mein früheres Zuhause kurz verspürt hatte. Meine Eltern waren keine besonders sentimentalen Menschen, wobei es auch nicht sonderlich gut zu diesen beiden westfälischen Pragmatikern gepasst hätte, nachts in meinem leeren Kinderzimmer zu sitzen und in der guten alten Zeit zu schwelgen.
Stattdessen wohnten jetzt die Doggen Adenauer und Adorno in meinem Kinderzimmer und schliefen auf meiner ausklappbaren Couch, auf deren ausgeblichenem Muster fröhliche Comic-Pinguine Schlittschuh fuhren.
Es roch nach nassem Hund und alten Socken– zumindest Ersteres war anders als damals, als dieser Fünfzehn-Quadratmeter-Raufasertapetenblock noch mein persönliches Refugium gewesen war. Hier hatte ich das erste Mal mit Wachsmalkreide gemalt, das erste Mal mit He-Man gespielt und mir das erste Mal beim Basteln eine Schere in die Hand gerammt. Auf der Tapete neben dem Türrahmen waren noch Kritzeleien zu erkennen, die ich in einem Anfall kindlichen Aufbegehrens an die Wand geschmiert hatte. Ganz deutlich lesbar stand dort »Shule ist dof« in schwarzen Buchstaben auf der Tapete. Mein Vater hatte seine Korrekturen in roten Buchstaben danebengeschrieben.
Die Hunde observierten mich wie einen Eindringling und blieben hechelnd auf der Couch sitzen. Ich nahm neben ihnen auf einem Stuhl Platz und schaute aus dem Fenster. Hinter dem Garten lag das Haus der Fennermanns. Einen Augenblick glaubte ich die Umrisse der Shining-Zwillinge am Fenster ausmachen zu können.
Meine Mutter klopfte und bat mich, zum Abendessen zu kommen. Ich fühlte mich wie ein Kronzeuge, der gerufen wurde, um gegen die Mafia auszusagen, und das passte auch ganz gut, denn es gab Nudeln.
Erst rührten wir alle betreten in unseren Spaghetti herum, mein Vater zerschnitt sie zu kleinen Fäden, was jeden waschechten Italiener wahrscheinlich an den Rande des Nervenzusammenbruchs geführt hätte.
»Was ist denn eigentlich passiert«, fragte meine Mutter schließlich und sah von ihren Nudeln auf.
»Mmh«, gurgelte ich und schluckte ein wenig Nudelpampe herunter. Diese Antwort war mir lieber als: »Ich bin ein Versager, vierteilt mich bitte vor dem Haus.«
»Aha«, sagte mein Vater etwas fordernd.
Ich war auf der Sinnsuche gestrandet und hatte mit mittlerweile vierundzwanzig Jahren nichts in meinem Leben wirklich durchgezogen. Der Silberstreif am Horizont entpuppte sich als Auspuffabgas des neuen Porsche Cayenne meines Cousins Sören Malte, der gerade den Gewinn seiner Firma verdoppelt hatte. Ich wäre wirklich gerne Lehrer geworden, auch wenn meine Eltern mich für komplett verrückt erklärt hatten. Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass ihr Talent auch in mir schlummern würde. Jetzt war da, wo ich das Talent vermutet hatte, nur ein kleines Schild, auf dem »Bitte weitergehen« stand.
»Und was willst du jetzt machen?«, brummte mein Vater.
»Ich weiß nicht, ich will mich erst mal neu orientieren«, log ich, eigentlich war mein Plan, mich vor Scham einige Zeit in eine
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