Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
Vom Netzwerk:
Kolonie von Königspinguinen an den Südpol zu stellen und einsam festzufrieren.
    »Vielleicht gehst du noch mal ins Berufsinformationszentrum …«, schlug meine Mutter vor, verstummte aber gleich wieder. Die Erinnerung, wie ich nach dem Tierarztpraktikum als menschgewordenes Exkrement in mein Zimmer gestürmt war, kam ihr wohl gerade wieder hoch. Angeekelt schob sie den Teller weg.
    »Ja, Riesenidee, vielleicht schlägt mir Pilawa ja diesmal vor, ich könnte Pisspage oder preußischer Konsul werden.«
    Meine Eltern schauten mich verständnislos an, sie kannten Pilawa gar nicht.
    »Vielleicht hilft dir das ja«, sagte mein Vater und holte unter dem Tisch ein Buch hervor. Auf dem Cover strahlte mich ein braun gebrannter Mann im Armani-Anzug an, der seine Arme in Siegergeste in die Höhe streckte und lächelnd vor einem Sportwagen poste.
    »›In 10 Schritten zum Erfolg – Wie ich ein Gewinner werde‹ von Sören Malte Hebeling«, las ich und erbrach fast meine Spaghetti auf den Tisch.
    »Ist ein Bestseller …«, versuchte es meine Mutter noch einmal und schob den Hunden ihren Teller hin.
    Ich erkannte meinen Cousin auf dem Cover-Foto sofort wieder, auch wenn ich ihn zum Glück seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Sören Malte, dieser Untergang der Spaßgesellschaft, das destillierte Grauen des Kapitalismus, der geheime Gradmesser für die Erwartungen meiner Eltern. Er hatte einen Lebensratgeber für den Weg zum schnellen Geld geschrieben, der seinen rapiden Aufstieg vom humorfreien Musterschüler zum braun gebrannten Großverdiener illustrierte. Dieser seelenlose Zombie verkaufte seine hohle Botschaft nun auch noch gewinnbringend an hilflose Versager. Hilflose Versager, die wahrscheinlich einiges mit mir gemein hatten.
    »Das ist doch nicht euer Ernst«, maulte ich und schob das Buch angeekelt beiseite.
    »Schritt 1 besteht darin, die Ablehnung zu überwinden«, dozierte mein Vater, er hatte den Mist wahrhaftig gelesen, anstatt ihn als Dämmmaterial oder Türstopper zu benutzen.
    »Die Ablehnung!«, kreischte ich. Ich war nicht mal zwei Stunden da und schon wieder kurz davor, mich selbst zum Vollwaisen machen zu wollen.
    »Ich lehne das nicht ab, ich verabscheue es. Diese Kapitalistenbibel für angehende Arschgeigen. Was ist denn Stufe 2? Dass man Sören Malte sein gesamtes Erspartes aufs Schweizer Bankkonto überweist?«
    »Stufe 2: Seine innere Stärke finden …«, murmelte mein Vater leise.
    »Es war ja auch nur ein Vorschlag«, sagte meine Mutter und nahm das Buch wieder an sich.
    »Vielleicht kannst du was bei Sören Malte machen, die suchen ja immer Leute in der Firma«, schlug mein Vater vor und las den Grad der Ablehnung an meinem Gesichtsausdruck ab. Lieber hätte ich den Rest meines Lebens Kampfhunden Einläufe verpasst, als auch nur eine halbe Stunde Sören Malte beim Suhlen in der eigenen Gottherrlichkeit zuzusehen.
    Meine Mutter griff noch einmal unter den Tisch. Was jetzt wohl kam? Ein Ausbildungsvorschlag zum Rabbi oder vielleicht eine Zwangsverpflichtung als Bundeswehrsoldat?
    Die Wahrheit war viel schlimmer. Meine Mutter holte den ultimativen Nervenbalsam unter dem Tisch hervor: Scrabble.
    »Es ist Mooontaaag«, surrte sie und zeigte auf den Kalender an der Wand.
    Der Wochenrhythmus meiner Eltern hatte sich seit meiner Kindheit also nicht verändert. Die Hunde sprangen von ihren Stühlen und gingen freiwillig in ihr Zimmer. Hätte ich auch gern getan.

A wie Anahronismus
    Mein Vater ordnete gerade generalstabsmäßig die Spielsteinchen, da klingelte es an der Tür, und als ob die Situation nicht sowieso schon absurd genug gewesen wäre, trat ein weiterer Geist aus meiner Vergangenheit ins Wohnzimmer. Onkel Willi. Im Gegensatz zu früher hatte er immerhin die Hose zu und war ohne Polizeiaufgebot erschienen. Onkel Willi tapste wie ein Tanzbär herein, er trug immer noch das Autoschieber-Jackett, mit dem er die Buchhändlerin Gundula Götze damals in die Flucht geschlagen hatte. Doch ein anderes Opfer hatte sich davon anscheinend nicht abschrecken lassen, denn eine Frau, die mindestens ebenso unbeholfen wie er selbst durch die Tür wackelte und ein breites Grinsen im Gesicht trug, stand nun Händchen haltend neben ihm.
    »Hallo Bastian, ich bin die Regina, freut mich«, stellte sie sich vor und klang wie ein kanadischer Holzfäller mit Keuchhusten.
    Regina hatte nicht nur die Körperform, sondern auch die sonnige Ausstrahlung eines kleinen Buddhas. Sie hatte Wilfried vor ein paar Jahren im

Weitere Kostenlose Bücher