Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orth
Vom Netzwerk:
glauben, ich bitte Sie. Also? fragte einer der Zweisprachigen.
    Ich sackte zusammen und musste passen. Es war mir
    irgendwann zwischen einem der Biere im Ratskeller entfallen.
    Auch das noch, murmelte Horst Höllinger und machte sich eine Notiz. Als die Stunde vorüber war, stürzte ich aus dem Zimmer, nicht ohne vergessen zu haben, mein Kürzel sowie den üblichen Vermerk über den in der Stunde behandelten Stoff ins Klassenbuch einzutragen. Ich ging am immer noch reglos auf dem Sofa sitzenden Pascal vorbei, klopfte ihm auf die Schulter, sagte ihm, er solle ruhig bleiben. Sobald ich beim Direktor gewesen sei, käme ich zurück und würde ihm helfen.
    Dann trat ich vor den Spiegel im Lehrerzimmer, strich mir die Haare aus der Stirn, zupfte den Hemdkragen zurecht, rieb mir mit den Händen durchs Gesicht, gab mir einige leichte, aufmunternde Ohrfeigen und ging los.
    Im Sekretariat meldete ich mich mit kreidiger Stimme. Ich müsse zu Herrn Höllinger. Die erste Sekretärin sah mich mitleidig an. Die Zweite legte mir, als ich an ihr vorbeiging, kurz die Hand an die Schulter, Kopf hoch, sagte sie. Ich ging zur Tür und klopfte leise. Von innen hörte ich Höllingers: bitte! Ich öffnete und trat ein. Kommen Sie, kommen Sie, mein lieber Kranich, sagte er, setzen Sie sich, möchten Sie einen Kaffee? Ich lehnte dankend ab. Was sind Sie denn so nervös?
    fragte er. Haben Sie Angst? Nein, sagte ich, nein, nein. Sagen Sie, sagte der Direktor und schnupperte misstrauisch, haben Sie getrunken? Nein, sagte ich, nein, warum? Es schiene ihm so, Alkohol im Dienst, ich wisse ja, was das bedeute. Nein, wiederholte ich, ich sei völlig nüchtern. Er habe vor Wochen, sagte Höllinger, beim Oberschulamt angefragt, ob es nicht möglich sei, einen Satz von jenen Röhrchen zu bekommen, die von Polizisten für Verkehrskontrollen verwendet werden. Er wolle auf diese Weise alkoholisierten Lehrern ein für alle Mal den Garaus machen. Leider habe er bislang noch keinen
    positiven Bescheid. Ich, sagte ich, habe nichts zu verbergen, Sie können mir glauben, Herr Höllinger. Kein Restalkohol?
    fragte er. Nein, wieso? fragte ich. Weil man Sie gestern gesehen hat, sagte er. Mich? fragte ich. Wo denn? Beim Verlassen des Ratskellers, sagte Höllinger, in Stuttgart, gegen fünf Uhr, betrunken, gemeinsam mit drei weiteren
    konspirativen Elementen der Schule. Ich erbleichte. Das müsse, stotterte ich, woher er denn, also auf keinen Fall könne er. Ruhig, ruhig, sagte Höllinger. Es sei ja alles in Ordnung.
    Ich hätte ihn ganz vorschriftsmäßig angelogen, das sei alles, was er wolle. Er sei vollkommen zufrieden mit mir. Ob ich mich nicht an das Einstellungsgespräch erinnerte, an die vier Säulen des Schulsystems? In ganz und gar vorbildlicher Manier hätte ich den Schein ihm gegenüber gewahrt, ich hätte mich damit als ein würdiger Lehrer dargestellt und keine Schwierigkeiten zu erwarten. Denn was wäre geschehen, sagte er, wenn ich alles zugegeben hätte? Nicht auszudenken, welche Schritte er, Höllinger, in die Wege hätte leiten müssen. Nicht wahr? Ich nickte. Wie dem auch sei, sagte Höllinger und kramte nach Papier und Stift, am heutigen Tag stehe die übliche routinemäßige Überprüfung des
    Übersichtsverständnisses auf dem Programm. Ich sah ihn fragend an. Er wolle sich vergewissern, sagte Höllinger, ob es mir pflichtgemäß gelungen sei, mir während der ersten beiden Schultage – ein solcher Zeitraum sei zu diesem Zweck ganz und gar hinreichend – ob es mir also pflichtgemäß gelungen sei, mir einen ausreichenden Überblick über die in seiner Schule sich befindlichen und für den täglichen Bedarf eines jeden Lehrers unabdingbaren Akten und Wandanschläge zu verschaffen. Ob ich ihm also sagen könne, wo sich der
    Vertretungsplan befinde, wo die Personalratsankündigungen, wo die Liste mit den Klassenlehrern, wo die Liste mit den Mentoren für die Oberstufenschüler, wo der
    Klassenarbeitsplan, und nicht nur, wo sich der
    Klassenarbeitsplan befinde, sondern auch, mit welcher Farbe man Klassenarbeiten in den Klassenarbeitsplan einzutragen habe im Gegensatz zur Farbe für die unangekündigten
    Kurztests, die angekündigten Kurztests und die schriftliche Hausarbeitsüberprüfung, ferner wolle er wissen, wo sich die blauen Mappen befänden, in die man die einzelnen
    Klassenarbeitsnoten unmittelbar nach der
    Klassenarbeitskorrektur einzutragen habe, um sie damit jedem in der Klasse unterrichtenden Lehrer zur sofortigen
    Kenntnisnahme

Weitere Kostenlose Bücher