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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orth
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ich, noch umnebelt vom Alkohol, plötzlich einen Augenblick vollkommenster Klarheit. Es durchleuchtete mich mit einem Schlag die
    Erkenntnis, dass ich beim bisherigen Benutzen derartiger Handtuchspender immer zuerst ein bereits benutztes Stück Handtuch hatte entfernen müssen, um erst dann, in einem zweiten Akt, an dem von mir selbst hervorgezogenen, sauberen Stück meine Hände abtrocknen zu können. Nun aber, an
    diesem Morgen, um sieben Uhr fünfzehn, dachte ich plötzlich, dass es ganz und gar umständlich war und völlig unerklärlich, warum man zuerst, mit den noch nassen, tropfenden Händen, ein neues Handtuchstück aus dem Spender zu ziehen hatte, um sich erst anschließend abzutrocknen. Bedeutend sinnvoller wäre es doch, dachte ich, wenn man bereits ein sauberes Stück Handtuch am Spender vorfände, sich ohne weitere Mühe und Umstände die Hände abtrocknen könnte und erst danach das neue Handtuchstück hervorzerren würde, sodass ein sauberes Handtuch für den nächsten Benutzer zurückbliebe. Als ich nachrechnete, kam ich zu dem Ergebnis, dass man in beiden Fällen, egal, ob man zuerst am Handtuch zog und sich dann abtrocknete oder aber sich zuerst abtrocknete und dann am Handtuch zog, in beiden Fällen also, je einmal seine Hände abtrocknen und einmal am Handtuch zu ziehen hatte. Der einzige Unterschied war die Reihenfolge der beiden
    Tätigkeiten. Und mit einem Mal erkannte ich die ganze
    Niedrigkeit und Ekelhaftigkeit des Menschen. Von solcher Verkommenheit war er, der Mensch, dass er das benutzte Handtuch einfach achtlos zurückließ und dem nachfolgenden Händeabtrockner das Handtuch feucht und knittrig
    entgegenstarrte. Mein Herz schlug schneller, als ich in einem die Welt für mich an diesem Morgen aus den Fugen hebenden Akt ein zweites Mal an dem Handtuch zog, sodass sich dem nächsten Benutzer des Waschbeckens ein reines, sauberes, unverfängliches Stück Handtuch darbot. Solcherart beflügelt verließ ich die Toilette und machte mich auf den Weg zur Bibliothek, wo ich einen Platz vor einem der leer geräumten Regale einnahm und versuchte, meine am vergangenen Abend geleisteten Vorbereitungen zu rekapitulieren. Pascal und ich hatten die erste Stunde frei, und er half mir sehr, indem er die von mir benötigten Schulbücher auf seinem Lehrerleihausweis für mich aus der Lehrerbibliothek auslieh.
    Nach der ersten von mir an diesem Morgen gehaltenen
    Stunde in der 5a stürmten die Schüler an mir vorbei in die große Pause, und ordnungsgemäß verriegelte ich die Tür, nicht ohne mich zu vergewissern, dass ich keinen der Schüler versehentlich eingesperrt hatte. Ich stieg die Treppen hoch und traf auf dem Gang zum Lehrerzimmer Frau Klüting, die mich ansprach und nach meiner Meinung fragte. Meine Meinung wozu, bitte? fragte ich zurück. Welches Lehrwerk, sagte sie, G2000 oder Greenline, Cornelsen oder Klett, Sie wissen doch, heute Nachmittag, Fachkonferenz, gleich im Anschluss an das Lehrerfoto. Ach so, sagte ich, ja, ich bin natürlich für G2000.
    Sehr gut, sagte Frau Klüting, und Ihre Gründe? In diesem Augenblick trat Höllinger aus dem Lehrerzimmer direkt auf den Gang, ungefähr drei Schritte neben uns. Herr Kleible, rief er einen der gerade an uns vorbeigehenden Lehrer zurück. Ja?
    fragte dieser. Frau Klüting und ich blieben auf dem Gang stehen und sprachen weiter über die Vorteile des G2000-Buches. Da wir aber beide viel mehr auf das Gespräch
    achteten, das sich unmittelbar neben uns zwischen Kleible und Höllinger entwickelte, waren wir in unserem eigenen Gespräch nicht ganz auf der Höhe, und die Argumente, die wir uns gegenseitig aufzählten, dienten mit der Zeit nur noch dem einzigen Ziel, unsere Anwesenheit auf dem Gang unauffällig zu verlängern. Hatten wir zunächst mit dem Hinweis auf die besseren Texte, Übungsformen und Bilder noch sachlich und kompetent auf die Stärken des Cornelsen-Buches hingewiesen, fielen uns irgendwann keine weiteren Vorzüge mehr ein, und ich sagte plötzlich, die Farbe der Titelbilder sei ansprechender, genau, hakte sich Frau Klüting ein, außerdem sei der Einband fester, nicht so brüchig, richtig, bestätigte ich sie, und man könne den Plastikschutzumschlag besser um den Karton legen, fügte ich hinzu, ja, sagte Frau Klüting, und die Cornelsen-Vertreter seien wesentlich sympathischer als die trockenen Klett-Männer, genau, sagte ich, und das Schwarz des Druckes sei um eine Nuance schwärzer als das von Greenline, so sei es, sagte Frau

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