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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orth
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Klüting, und überhaupt, das Schriftbild erschiene ihr irgendwie runder als bei Klett, ja, nickte ich, das th sei wesentlich authentischer, irgendwie lesbarer. Als in diesem Augenblick das Gespräch zwischen Höllinger und Kleible abrupt endete, konnten auch Klüting und ich, ein wenig peinlich berührt, auseinander gehen, also dann, bis heute Mittag, sagte Frau Klüting, bis dann, sagte ich.
    Der Direktor hatte also Kleible auf dem Gang erwischt und den Dialog begonnen mit den Worten, ob er, Kleible, wisse, wie spät es sei? Kleible hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und geantwortet, ja, das wisse er ganz genau, wenn er hier auf seine Uhr sehe, so sei es soeben neun Uhr
    vierundzwanzig geworden. Der Direktor hatte im selben
    Tonfall weitergefragt, ob er, Kleible, wisse, was sich gewöhnlich an dieser Schule um neun Uhr vierundzwanzig abspiele? Kleible hatte vollkommen ernst und nüchtern
    geantwortet, klar wisse er das, die große Pause habe vor genau vier Minuten begonnen. Richtig, hatte Höllinger triumphiert und weitergeforscht, ob er, Kleible, wisse, welcher Tag heute sei? Das sei einfach zu beantworten, hatte Kleible das Spiel mitgespielt und gesagt, Dienstag, das wisse er genau, da gestern der erste Schultag gewesen sei. Gut, hatte der Direktor gestrahlt und dann weitergefragt, ob er, Kleible, wisse, wer in diesem Schuljahr dienstags in der großen Pause zur
    Hofaufsicht eingeteilt sei? Kleible hatte nun seinerseits gestrahlt und in aller Gelassenheit gesagt, selbstverständlich wisse er das, er, Kleible selber, sei zur Hofaufsicht eingeteilt, jeden Dienstag in der ersten großen Pause, das habe er dick und fett in seinem Kalender vermerkt, nicht nur einmal, hatte Kleible betont, sondern auf jeder einzelnen Dienstagsseite seines roten Sparkassenlehrerkalenders. Damit hatte Höllinger nicht gerechnet und war einen Augenblick sprachlos
    dagestanden, dann aber hatte er gesagt, wenn er, Kleible, all dies so genau wisse, warum er dann immer noch hier auf dem Gang stehe, statt seinen Pflichten ordnungsgemäß
    nachzukommen? Er, Kleible, hatte Höllinger gesagt, müsse als Erster unten bei der Hofaufsicht sein, in den ersten Minuten, das sei wichtig, denn in jenen ersten Momenten, in denen die Schüler voller Freude in die Pause stürzten, ereigneten sich erfahrungsgemäß die meisten Unfälle. Kleible hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und den Direktor aufgefordert, er, Höllinger, möge ihm, Kleible, doch einmal erklären, wie er, Kleible, es anzustellen habe, als Erster auf dem Hof zu sein, zur Pausenaufsicht, und gleichzeitig als Letzter das Klassenzimmer zu verlassen, um, wie gestern in der GLK
    beschlossen, hinter den Schülern abzuschließen. Daraufhin hatte Höllinger geschwiegen. Kleible hatte sich umgedreht und war in aller Ruhe auf den Hof gegangen, Höllinger aber in sein Büro abgezogen.
    Noch in derselben Pause knackste es plötzlich in der
    Lehrerzimmerlautsprecheranlage, und Höllingers Stimme
    ertönte, Linnemann, rief er, sofort ins Direktionsbüro.
    Linnemann erbleichte, alle sahen ihn an. Plötzlich fasste sich Linnemann erschrocken an den Hals und begann, seine
    Taschen auszuleeren, wie wahnsinnig in den an seinem
    Arbeitsplatz liegenden Unterlagen zu wühlen und unter dem Tisch nachzusehen. Mein Schlüssel, flüsterte er, außer Atem.
    Seine Tischnachbarn halfen ihm fieberhaft, den Schlüssel zu suchen, aber man fand ihn nicht. Mit hängenden Schultern schlich er aus dem Lehrerzimmer. Es klingelte, die Lehrer gingen in ihre Klassen. Nach der Stunde traf ich Linnemann, der seinen Schlüssel nun an einer Kette um den Hals trug und ein wenig erschöpft aussah. Alles klar? fragte ich ihn. Er sah mich böse an. Waren Sie das? fragte er. Ich? sagte ich. Wie kommen Sie denn darauf? Ich hab Ihnen doch den Schlüssel zurückgegeben, erinnern Sie sich, gestern, im Zimmer 303. Da war es dunkel, sagte Linnemann, was weiß ich, was Sie mir da für einen Schlüssel gegeben haben. Herr Linnemann, rief ich, nein, das dürfen Sie nicht glauben, Linnemann, ich würde dem Direktor niemals einen Kollegen ans Messer liefern, unter uns gesprochen, was den Direktor betrifft, so muss ich sagen, dass… Martin, unterbrach mich Josef Jensen, der am Tisch nebenan stand, kommst du mal bitte? Ich entschuldigte mich bei Linnemann und verließ mit Josef das Lehrerzimmer, er führte mich den Gang entlang, sah sich am Ende des Ganges um, und in einem Augenblick, als uns niemand sehen konnte, schob er mich

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