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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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meinem hysterischen Kicher-anfall schrieb mich die Ärztin fünf Tage krank. Maisa nannte ich psychische Gründe, die Kolleginnen würden glauben, dass es mit der Schießerei zu tun hatte. Der Gründonnerstag fiel auf den ersten April, und es war, als hätte mir das Leben wahrhaftig einen Aprilstreich gespielt. Nach meinem Lachanfall hatte mir die Ärztin versichert, ein Irrtum sei völlig ausgeschlossen.
    Als ich von meiner Krankheit erfahren hatte, war meine erste Reaktion ein ungeheures Schamgefühl gewesen. Bestimmt hatte ich etwas falsch gemacht und war deshalb krank geworden: ungesund gegessen, zu wenig Sport getrieben, versäumt, positiv zu denken. Ich hatte keine Kinder, Stillen schützte vor Brustkrebs. In meinem Elternhaus war geraucht worden, hatte das etwas zu bedeuten? Oder war ich schlicht und einfach ein schlechter Mensch, der eine tödliche Krankheit verdient hatte?
    Ich schämte mich so sehr, dass ich beschloss, meine Krankheit zu verheimlichen. Um zu den Behandlungen gehen zu können, hatte ich bei der Arbeit geradezu akrobatisch mit Lügenge-schichten jonglieren müssen. Die Strahlentherapie konnte ich in meinen Sommerurlaub legen, doch die Chemotherapie hatte einige Probleme bereitet. Zwar bekam ich das Medikament alle vier Wochen als Einmaldosis, aber die ersten Tage nach der Einnahme waren wegen der Müdigkeit und Übelkeit die reine Höl-le. Trotzdem hatte ich sie überstanden, ohne dass jemand hinter mein Geheimnis gekommen war.
    Ab und zu hatte ich sogar Erleichterung verspürt: Mein Leben war so freudlos, ich konnte zufrieden sein, es bald hinter mir zu haben. Aber das Gefühl hielt nie lange an. Ich hatte im Bleipanzer gelegen wie in einem Sarg, nie hatte ich mich so nichtig gefühlt wie in dem hellen Raum, in dem nur das Ge-räusch der Maschinen zu hören war. Die Narbe über meinem Herzen erinnerte mich an meine Krankheit, sooft ich mich an-oder auszog.
    Natürlich hatte ich nach der Operation Informationen über Krebsorganisationen, Gesprächsgruppen und Rehabilitations-kurse bekommen. Über die sozialen Vergünstigungen wusste ich sowieso Bescheid. Aber meine Rolle war das Helfen, und Helfe-rinnen durften keine Hilfe benötigen.
    Hatte ich gedacht.
    Der Hass kam erst später, während der ersten Phasen der Chemotherapie im Spätsommer, als ich mich dauernd erbrach.
    Warum musste ich sterben, ich, die ich immer versucht hatte, für andere zu leben, während Sadisten wie Ari Väätäinen weiterleben durften? Ich fühlte mich von Gott um den Rest meines Lebens beraubt, darum nahm ich seinen Platz ein und entschied über das Leben anderer Menschen. Wenn ohnehin das Todesur-teil über mich verhängt war, konnte ich auch töten.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich an Gott geglaubt, ich brauchte die Vorstellung, ohne Vorbehalt geliebt zu werden.
    Noch als Erwachsene hatte ich mein Abendgebet gesprochen und immer damit begonnen, Gott für das Gute zu danken, das mir der Tag gebracht hatte, auch wenn es mir an manchen Tagen fast unmöglich war, etwas zu finden, wofür ich dankbar sein konnte. Nachdem ich von meinem Krebs erfahren hatte, dachte ich, Gott hätte mir die Krankheit geschickt, weil ich nicht dankbar genug für bescheidene Gaben gewesen war. Mit welchem Recht forderte ich mehr als das bloße Leben?
    Von Gründonnerstag bis Ostersamstag saß ich daheim und wünschte mir, Jack Halmes Schrotkugeln hätten mich getötet.
    Nach allem, was ich getan hatte, konnte ich nicht weiterleben.
    Ich spielte mit dem Gedanken, auf das Leben zu verzichten, das man mir gerade zurückgegeben hatte, und mich umzubringen.
    Das Telefon hatte ich ausgestöpselt und das Handy abge-schaltet, ich wollte mit keinem reden. Am Karfreitag um zehn klingelte es an der Tür. Ich kümmerte mich nicht darum. Das konnte nur Kalle sein, und ich ertrug es nicht, ihn zu sehen.
    Kalle. Noch so ein Aprilscherz. Zuerst hatte ich geglaubt, er sei zu spät in mein Leben getreten, dann hatte ich selbst alles unmöglich gemacht. Ich würde es nie fertig bringen, ihm zu sagen, was ich getan hatte, obwohl ich es verdient hätte, in seinen Augen den Blick zu sehen, mit dem ich ihn angeschaut hatte, als er mir erzählte, er habe einen Menschen getötet.
    Ich hatte vorgehabt, ohne Angabe von Gründen im Schutzhafen zu kündigen, sobald ich ungefähr wusste, wie viel Zeit mir noch blieb. Meine Ersparnisse reichten mindestens für ein halbes Jahr. Sehr viel länger würde ich nicht mehr leben, hatte ich gedacht. Meiner Familie und ein paar

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