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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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Gitarre. In der Musik-AG in der Unterstufe hatte ich Blockflöte gespielt und mich in einen schmalgesichtigen, ständig grinsenden Jungen verguckt, der Gitarre spielte. Seitdem reichten drei Ak-korde und eine sanfte Singstimme aus, um mir den Kopf zu verdrehen: im Konfirmandenlager, bei den wenigen Studenten-partys, auf die ich mich gewagt hatte, bei den Adventsfeiern am Arbeitsplatz. Ich hatte die Gefahr erkannt und hielt mich deshalb von Gitarristen fern. Und nun hatte ich schon wieder einen vor mir.
    Kalle zupfte eine eigentümliche Melodie. Bei mir klingelten die Alarmglocken. Natürlich wusste er, wie eine Gitarre auf Frauen wirkt. Es würde nicht lange dauern, bis er mich bat, ihm Geld für neue Saiten oder ein Mikrofon zu leihen. Am besten ging ich sofort. Ich trank noch einen Schluck Bier. Zum Glück legte er die Gitarre weg.
    «Entschuldigung», lächelte er. «Ich musste meine Hände irgendwie beschäftigen, weil ich so nervös bin. Abgesehen von meiner Mutter sind Sie die erste Frau in dieser Wohnung. Aus gegebenem Anlass habe ich in den letzten Jahren nicht viel Umgang mit Frauen gehabt.»
    Mich schauderte. Natürlich, er hatte so lange keine Frau gehabt, dass ihm jede recht war, selbst ein Exemplar wie ich. Hatte er mir etwa K.-o.-Tropfen ins Glas getan?
    «War es schlimm?», piepste ich.
    «Im Gefängnis? Ja, besonders am Anfang. Aber man gewöhnt sich an alles. Sie haben gesagt, dass Sie diese Knastorden vom Sozialamt kennen. Arbeiten Sie immer noch da?»
    «Nein.» Ich wollte nicht über meinen Job reden, also wechselte ich das Thema. Ich erzählte ihm vom Chor, und Kalle fragte nach unserem Repertoire.
    «Vielleicht komme ich mal zum Probesingen», grinste er.
    «Obwohl – ich kann wohl kaum im Gemeindechor singen, wenn ich nicht an Gott glaube. Im Gefängnis habe ich versucht, gläubig zu werden, aber dafür bin ich wohl nicht gebaut. Ich bin ein geborener Skeptiker, wissen Sie. Leichter wäre es schon, wenn man nicht ganz auf sich allein gestellt wäre. Haben Sie einen Gott, Säde?»
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Wenn ich ehrlich gewesen wäre, hätte ich gesagt, dass mir mein Gott abhanden gekommen war, aber ich wollte keine großen Dinge über mich erzählen, die nur zu weiteren Fragen führten. Mein Glas war leer, ich stand auf.
    «Ich muss noch mit Sulo an die frische Luft, bevor es regnet.»
    Das war nicht mal gelogen. «Danke für das Bier.»
    «Danke für den Besuch. Kommen Sie mal wieder.»
    Das Bier war mir zu Kopf gestiegen, mir war erschreckend lustig zumute, aber das kam wahrscheinlich nur von der Gitarre. Gut, dass er nicht auch noch Leskinens «Herbstmelodie» gesungen hatte; das hätte ich nicht ausgehalten. Ich holte Sulo und schlich mit ihm auf den Hof, blickte in den mondlosen Himmel und dachte über Kalles Frage nach. Über Gott spricht man eigentlich nicht mit Fremden.
    Ich war mit einem doppelten Gott aufgewachsen, denn die Familie meines Vaters stammte aus Suojärvi und gehörte der orthodoxen Kirche an, während meine Mutter eine ganz ge-wöhnliche nordkarelische Lutheranerin war. Bei der Heirat hatten meine Eltern beschlossen, ihr erstes Kind nach der Konfession der Mutter zu taufen, wenn es ein Mädchen, und nach der des Vaters, wenn es ein Junge wäre. Auch deshalb war mein Vater bei meiner Geburt enttäuscht. Wir waren abwechselnd in die beiden Kirchen gegangen, und ich wartete jedes Jahr auf den orthodoxen nächtlichen Ostergottesdienst, auf den Vollmond und den nach schmelzendem Schnee riechenden Kirchhof, auf dem in meiner Heimatstadt einige Dutzend Gläubige an der Prozession teilnahmen. Obwohl ich die falsche Konfession hatte, wurde ich nicht davongejagt, denn ich stand unter dem Schutz der Verwandten meines Vaters.
    Ich hielt mich nicht für gläubig, obwohl ich auch als Erwachsene gewohnheitsmäßig mein Abendgebet aufsagte. Zur Kirche ging ich, wenn unser Chor dort sang, also nur gelegentlich. Der Gott meines Vaters und der meiner Mutter waren beide aus meinem Leben verschwunden.
    Am Sonntagnachmittag raffte ich mich auf und machte einen Spaziergang. Das Wetter war die ganze Woche wechselhaft gewesen: Morgens schien oft die Sonne, aber dann färbte sich der Himmel urplötzlich schwarz und es regnete heftig. Nach fünf Minuten war der Schauer meistens vorbei. Jeden Tag waren Regenbogen zu sehen, manchmal sogar zwei auf einmal. Ich nahm den Regenschirm mit, und tatsächlich musste ich ihn schon auf halber Strecke aufspannen. Ich suchte in der

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