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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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ein Geschenk für Kalle zu kaufen. Es wäre mir seltsam vorgekommen, einem fremden Mann Blumen zu schenken, daher dachte ich zuerst an eine Flasche Wein. Aber das war auch keine gute Idee, wahrscheinlich konnte ein Knastbruder sowieso nicht zwischen verschiedenen Sorten unterscheiden wie Maisas Mann. Schokolade war etwas für Frauen, und etwas zum Anziehen kam für einen Fremden auch nicht infrage.
    Schließlich entschied ich mich für einen Kalender mit Kat-zenbildern, den ich ihm sozusagen in Sulos Namen geben konnte. Das Kätzchen vom Mai sah Sulo sehr ähnlich, abgesehen davon, dass es natürlich zwei Augen hatte. Zuerst wollte ich das Päckchen einfach in den Briefkasten werfen, aber dann beschloss ich, es doch lieber persönlich abzugeben.
    Kalles Wohnung lag im Erdgeschoss, deshalb hatte er ein eigenes Gärtchen. Die vorigen Bewohner hatten es gut gepflegt, auch Kalle hatte das Herbstlaub vom Rasen gerecht. Die Ahorn-blätter waren in diesem Herbst durch irgendeine Pflanzen-krankheit schwarz gesprenkelt und sahen dadurch nur umso dekorativer aus. Im Sommer hatte ich an einem Busch hellrote Galläpfel entdeckt, die ich zuerst für Blüten hielt, bis mir aufging, dass es sich um ein krebsartiges Geschwür handelte.
    Ich stieg die Stufen hoch und klingelte. Vor dem kleinen Guckfenster hing ein einfacher schwarzer Vorhang, Kalle konnte also nicht sehen, wer vor der Tür stand. Als er aufmachte und mich sah, strahlte er.
    «Na so was … Hallo, Säde!»
    «Hallo … Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt.
    Also danke. Und das hier ist ein kleines Geschenk von Sulo.»
    «Aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Vielen Dank. Kommen Sie doch rein», sagte Kalle, während er den Kalender aus-packte. «Wie hübsch.»
    Ich blieb zögernd stehen. Mein Geschenk war vollkommen idiotisch. Nur kleine Mädchen hängen sich Katzenkalender an die Wand. Kalle hatte sich im Gefängnis sicher an Fotos von ganz anderen Miezen gewöhnt. Geh nach Hause, sagte ich mir, du hast deine Pflicht getan, jetzt halt Abstand von diesem Kerl.
    Aber als Kalle mich noch einmal aufforderte, trat ich ein. Ich wollte ihn nicht schon wieder enttäuschen.
    Er besaß nicht viele Möbel. Im Wohnzimmer standen nur ein Sofa, ein Esstisch und ein Bücherregal mit Hunderten von Bü-
    chern, die aussahen, als wären sie gelesen worden. Auf einem uralten Ecktisch stand ein tragbares Fernsehgerät. Ich schnüffelte im Flur, aber es stank nicht nach Katzenpisse. Offensichtlich hatte Sulo keinen größeren Schaden angerichtet.
    «Bitte, setzen Sie sich doch.» Kalle zeigte auf das Sofa, auf dem eine Gitarre lag. Auf dem Fußboden stapelten sich die Noten. Diverse Sammelbände, Verschiedenes von den Beatles und von Juice Leskinen. «Schritte klingen in den Straßen, alles Leben führt zum Tod», las ich auf einem Notenblatt. Ich kannte das Lied, wollte aber nicht an die nächsten Zeilen denken.
    «Möchten Sie etwas trinken? Ich habe Tee, Kaffee trinke ich nicht. Bier wäre auch da.»
    «Ich weiß nicht … Ein Bier vielleicht», sagte ich, obwohl ich Bier nicht besonders mochte.
    Kalle holte aus der Küche ein Tablett mit zwei Bierflaschen und zwei Gläsern. Er öffnete die Flaschen und ließ das dunkle, schäumende Getränk vorsichtig in die Gläser fließen.

    «Bitte sehr», sagte er und reichte mir eins der Gläser. Durch den dicken Schaum hindurch probierte ich das Bier, es schmeckte stark und süßlich, ganz anders als die Biersorten, die ich kannte.
    «Wohnen Sie schon lange hier?» Kalle schob den Stuhl vom Esstisch näher an das Sofa heran.
    «Seit vier Jahren.» Plötzlich spürte ich wieder Panik in mir aufsteigen. Was, zum Teufel, hatte ich in der Wohnung eines Fremden zu suchen? Was, wenn er ein Vergewaltiger war?
    «Nette Gegend, nur die Geschäfte sind so weit weg. Meine Mutter wohnt in Kuitinmäki, das ist nicht weit von hier. Wie geht’s Sulo?»
    «Danke, gut.» Ich nahm noch einen Schluck Bier, es stieg mir schnell zu Kopf, weil ich selten Alkohol trank. Vielleicht würde es mir über meine Angst hinweghelfen. «Spielen Sie Gitarre?»
    Blöde Frage. Bildete ich mir etwa ein, die Gitarre und die Noten lägen nur zur Dekoration da?
    «Für den Hausgebrauch. Im Gefängnis habe ich oft gespielt, es war ein guter Zeitvertreib.» Er beugte sich vor und nahm die Gitarre, seine Finger bewegten sich sanft und sicher über die Saiten. Ich wollte weder zuschauen noch zuhören. Ich hatte immer schon eine Schwäche für den Klang der akustischen

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