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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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Erziehungsberatungsstel-le. Wir wurden gebeten, alle unsere Aufzeichnungen über die Kinder von Ari und Sirpa Väätäinen zur Verfügung zu stellen; eine von Sirpa unterschriebene Freigabeerlaubnis lag bei. Ich rief die Psychologin an, die den Brief unterschrieben hatte.
    «Säde Vasara, Frauenhaus Schutzhafen. Wegen der Väätäinen-Kinder. Wir haben keine schriftlichen Aufzeichnungen, aber ich kann bei Bedarf ein mündliches Gutachten geben. Werden die Kinder in der Beratungsstelle behandelt?»
    Die Psychologin bestätigte es, obwohl sie damit eigentlich die Schweigepflicht verletzte. «Sie haben die Familie seit Jahren im Schutzhafen behandelt. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass die Kinder unter schweren Angstzuständen leiden?»
    «Doch, das haben wir bemerkt.»
    «Und nichts getan?»
    «Gegen den Willen unserer Hauptklientin Sirpa Väätäinen konnten wir nichts unternehmen.»
    «Sie hätten den Kinderschutz einschalten können!»
    «Dann hätte man Sirpa die Kinder weggenommen, weil ihr Mann gewalttätig ist! Das hätte keinen Sinn gehabt! Sie haben doch nicht etwa vor, Fürsorgeerziehung anzuordnen?»

    «Das ist nicht mehr nötig, die Angstzustände sind eindeutig als Folge der Gewaltsamkeit des Vaters diagnostiziert. Der Hei-lungsprozess hat viel versprechend begonnen. Diesen Kindern können wir noch helfen.»
    «Gut zu hören. Ich kann Ihnen natürlich Kopien von den Familiengesprächen der Väätäinens schicken, bei denen die Kinder anwesend waren. Sie könnten nützlich sein.»
    Als ich den Hörer auflegte, triumphierte ich. Am liebsten wäre ich auf den Hof gerannt und hätte die rotgelben Laubhau-fen durcheinander gewirbelt. Ich hatte richtig gehandelt! Mir war es zu verdanken, dass vier Menschen ohne Angst leben durften.
    Mir und dem Tod eines anderen Menschen.
    Ich hüpfte doch nicht durch das Laub, sondern arbeitete weiter. Auf meinem Tisch lag ein Stapel Anträge und Berichte. Pauli und Maisa schoben sie immer mir zu, weil sie glaubten, als ehemalige Sozialamtsangestellte wären mir sämtliche Formulare vertraut.
    Gegen drei Uhr rief Pasi Leiwo an.
    «Ist meine Frau Tiina da?»
    «Solche Auskünfte geben wir nicht.»
    «Aber ich mache mir Sorgen, ich …»
    «Was haben Sie ihr diesmal angetan?» Ich hatte gar nicht gewusst, wie eisig meine Stimme klingen konnte.
    «Sie haben sie also gesehen?»
    «Das habe ich nicht gesagt. Da Sie im Frauenhaus anrufen, gehe ich davon aus, dass Sie Ihre Frau geschlagen haben.»
    Pasi Leiwo knallte den Hörer auf die Gabel. Ich ließ den Pa-pierkram liegen und ging eine Treppe höher, um nach Tiina zu sehen. Sie hatte mit den anderen zu Mittag gegessen, hielt sich aber sonst abseits. Sie trug einen grauen College-Anzug aus dem Frauenhaus, der überhaupt nicht saß, einer der schwarzen Strümpfe hatte ein Loch. Ich holte ein neues Paar aus dem Lager, und da sie nicht darauf bestand, allein zu sein, blieb ich in ihrem Zimmer und stopfte den Strumpf. Darin hatte ich Routine, immerhin hatte ich das schon mit zwölf für meine kleinen Brüder getan.
    Tiina schaute hinaus zum Fichtenwäldchen, wo ein Eichhörn-chenpaar an den Baumstämmen Nachlaufen spielte.
    «Hat Pasi das getan?», fragte ich beim Stopfen.
    «Ja.» Die Stimme war gepresst. «Ich hatte ihm einen Tausender für die nächste Rate vom Autokredit gegeben. Am Abend ist er dann beschwipst nach Haus gekommen, war mit irgend-einem wichtigen Kunden im Casino gewesen und hatte das Geld verspielt. Da bin ich wütend geworden, und Pasi …»
    Tiina konnte nicht weiterreden.
    «Dann solltest du jetzt Anzeige erstatten, meinst du nicht?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Ich will nicht, dass sich die Polizei in unsere Angelegenheiten einmischt. Was bringt das schon?»
    Ich atmete tief durch, anstatt ihr eine Predigt zu halten. Im gleichen Moment klopfte es, Pauli wollte mit Tiina sprechen. Ich verzog mich gehorsam auf den Flur. Wieder klingelte mein Telefon, ich rannte in mein Arbeitszimmer und schaffte es noch, bevor der Anrufer auflegte. Es war der Chorleiter.
    «Wir brauchen heute Abend die Noten von Lied 620 aus dem Gesangbuch und von Bachs Choral ‹Wenn ich einmal soll scheiden›. Leena Huttunen ist gestorben, wir sollen am Samstag auf der Beerdigung singen.»
    Leena war die Frau von Hannu Huttunen, dem ersten Bass im Chor. Sie hatte Eierstockkrebs und siechte seit zwei Jahren dahin. Hannu war schon Wochen nicht mehr zu den Proben erschienen.
    «‹Wenn ich einmal soll scheiden› steht im Chorbuch, in Band

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