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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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1.»
    «Aber daraus singen wir sonst nichts, also wird es kaum jemand mitbringen.»
    Natürlich hatte ich die Noten nicht bei mir. Ich würde nach Hause fahren müssen, um sie zu holen, dann zurück zum Kopieren und anschließend direkt nach Olari zur Probe. Anders ging es nicht.
    Als ich alle Noten kopiert hatte, war es schon dunkel. Über Nacht blieben zwei Mitarbeiterinnen im Frauenhaus, eine Krankenschwester und eine Sozialpädagogin, die vorwiegend Nachtschichten machten. Zwei waren manchmal zu viel und manchmal zu wenig, man konnte nie vorhersehen, wie die Nacht verlief. Feiertage, große Sportveranstaltungen und die Spiele des lokalen Eishockeyfavoriten Espoo Blues waren kri-tisch. Letzten Sonntag war es hektisch zugegangen, weil einige Männer die Nerven verloren hatten. Sie fanden, ihre Frauen ju-belten nicht laut genug über Mika Häkkinens Weltmeistertitel.
    Zum Glück verstand die Bereitschaftspolizei im Allgemeinen keinen Spaß mit Störenfrieden, die den Schutzhafen bedrohten.
    Außerdem wussten alle Mitarbeiter, dass in einem verschlosse-nen Schrank in Paulis Zimmer eine geladene Waffe lag.
    Trotzdem erschrak ich, als sich plötzlich ein Schatten aus dem Dunkel löste und mir direkt vor das Fahrrad sprang. Ein untersetzter Mann um die dreißig, stockbetrunken.
    «Is meine Mutti da drin?»
    Er packte mich am Arm, Alkoholschwaden stiegen mir in die Nase.
    «Lassen Sie mich los!» Ich befreite mich mit einem Griff, den ich vor ein paar Jahren beim Selbstverteidigungskurs gelernt hatte. Der Mann hielt sich am Gepäckträger fest. Ich trat nach ihm. Er schwankte, und ich konnte aufsteigen und davonfahren.
    Bis zur Martinsillantie strampelte ich, so schnell ich konnte.
    Erst dann traute ich mich, anzuhalten und die Polizei anzurufen.
    Ich beschrieb den Mann so genau wie möglich. Es musste Heikki Jokinen sein, das war mir sofort klar gewesen, denn von unseren derzeitigen Klientinnen hatte nur Anja einen Sohn in diesem Alter. Die Polizisten baten mich natürlich, zum Frauenhaus zurückzukommen, aber ich weigerte mich, ich musste zur Probe.

    Die Stimmung war gedrückt, alle mochten Hannu Huttunen und seine Frau Leena. Die Huttunens hatten den Chor ein paar Mal in ihr Haus zur Sauna eingeladen. Ich war davon ausgegan-gen, bei der Beerdigung nicht gebraucht zu werden, aber über-raschenderweise hatten sich nur zwei Altsängerinnen gemeldet.
    Alle anderen hatten etwas vor. Bei manchen hörte man deutlich, dass sie sich nur eine Ausrede zurechtgelegt hatten. Der Tod eines gleichaltrigen oder jüngeren Menschen war so bedrü-
    ckend, da gingen sie lieber auf Distanz.
    «Ein paar Altstimmen brauchen wir aber noch», sagte der Chorleiter ungeduldig. «Säde, du kannst doch bestimmt?»
    Eigentlich hatte ich nicht hingehen wollen, aber ich sagte zu.
    Endlich nahm man einmal Notiz von mir.
    Am Donnerstag begann Tiina zu sprechen. Wir saßen in meinem Zimmer, die neuen Vorhänge schufen eine angenehme Atmosphäre. Draußen regnete es leise, ich hatte eine Kerze angezündet und im Radio sanfte Barockmusik gefunden.
    «Das Sprechen tut weh», sagte Tiina, als ich sie fragte, warum sie so lange geschwiegen hatte.
    «Psychisch oder physisch?»
    «Beides. Ich habe mir immer eingebildet, ein gutes Urteilsver-mögen zu besitzen. Schon als Schülerin wusste ich genau, was für einen Mann ich später wollte. Er sollte ehrgeizig sein und mit Geld umgehen können. Sportlichkeit und ein gepflegtes Äußeres fand ich auch wichtig.»
    «Pasi war also von der richtigen Sorte?»
    «Ja, schon … Anfangs habe ich noch gezögert, weil er nur die Wirtschaftsfachschule besucht hatte und ich immerhin Diplom-betriebswirtin werden würde. Aber er war ehrgeizig. Wir waren uns über fast alles einig, auch darüber, uns erst Kinder anzuschaffen, wenn alle Schulden abbezahlt sind. Wir mochten an-tike Möbel, Whitney Houston und thailändisches Essen. Beim Partnerquiz im Fernsehen bekämen wir garantiert die maximale Punktzahl.»

    «Immer noch?»
    «Ja … Es hat sich nichts geändert, außer dass Pasi mich schlägt und dass ich anfange, Angst vor ihm zu haben.»
    «Trinkt Pasi viel?»
    «Eigentlich nicht, nur mit seinen Kunden. Mit Verkaufsge-sprächen tut er sich schwer, glaube ich, jedenfalls ist er vorher immer total nervös.»
    Tiina hatte sich frisiert und die Prellungen am Kinn mit Puder abgedeckt, den Maisa ihr geliehen hatte.
    «Was passiert, wenn ich Anzeige erstatte? Wird er dann verhaftet? Müssen wir vor Gericht?»
    «Ich glaube

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