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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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nicht, dass er verhaftet wird, wahrscheinlich wird er zuerst nur vorgeladen. Ich finde, du solltest mit der Polizei sprechen. Beim Gewaltdezernat in Espoo arbeiten zwei vernünftige Frauen, Hauptkommissarin Maria Kallio und Kriminalmeister Anu Wang.»
    Tiina runzelte die Stirn. «Ich weiß nicht … Es fällt mir so schwer, mich zu entscheiden. Als Pasi mich das erste Mal geschlagen hat, dachte ich, das kann nicht wahr sein. Menschen wie mir passiert so was nicht.»
    Diese Worte hatte ich schon oft gehört, von den unterschied-lichsten Frauen. Keine Frau rechnete damit, von ihrem Liebsten verprügelt zu werden.
    Nach Tiinas Aussage war Pasi erst zum dritten Mal handgreif-lich geworden, seine Brutalität nahm also sehr schnell zu. Das war im Allgemeinen ein schlechtes Zeichen.
    «Ich würde das Haus nicht gern aufgeben, aber unser Ehever-trag schreibt vor, dass die gemeinsame Wohnung bei einer Trennung verkauft wird. Allein könnte ich mir so ein Haus auch gar nicht leisten. Und überhaupt …» Tiina ließ sich darüber aus, welche Schande eine Trennung wäre. Es fiel mir schwer, ihr zu folgen. Sie stammte zwar aus einer streng pietistischen Gegend in Ostbottnien, aber das erklärte nicht alles. Auch in meiner Heimatstadt herrschten ausgesprochen strenge Moralvorstel-lungen, und trotzdem ließen sich die Leute scheiden, ohne groß darüber nachzudenken. Meine Brüder zum Beispiel.
    Tiina war offenbar genauso ein ordentliches, pflichtbewusstes Mädchen gewesen wie ich, nur viel extrovertierter und unter-nehmungslustiger. In den letzten Jahren vor dem Abitur hatte sie in den Sommerferien schon bei einer Bank gearbeitet und später schnell Karriere gemacht, denn sie wusste, was sie wollte.
    Sie pflegte nur mit Gleichgesinnten Umgang, Loser interessier-ten sie nicht. Jeder hatte sein Schicksal selbst in der Hand, das Wichtigste war, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
    Nur bei der Wahl ihres Ehemannes hatte sie einen Fehler gemacht. Sie war in eine Sackgasse geraten.
    Nachdem ich von ihr erfahren hatte, wo Pasis Firma war, fuhr ich nach der Arbeit direkt hin. Ich rief seine Büronummer an, um mich zu vergewissern, ob er dort war. Als er antwortete, legte ich auf; natürlich hatte ich mein Handy vorher so eingestellt, dass die Rufnummer unterdrückt wurde. Das Firmengebäude lag im Zentrum von Tapiola, wo ich einigermaßen unauffällig vor dem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts stehen konnte, als wäre ich mit jemandem verabredet. Tiina zufolge machte Pasi meistens zwischen sechs und halb sieben Feierabend.
    Als er sich um zwanzig vor sieben immer noch nicht blicken ließ, wurde ich langsam nervös. Gab es noch einen zweiten Ausgang, vielleicht eine Direktverbindung zur Tiefgarage? Oder hatte Pasi alle Anrufe auf sein Handy umgeleitet und sich Gott weiß wo gemeldet?
    Gerade in dem Moment trat ein mittelgroßer Mann im eleganten hellbraunen Mantel aus der Tür der Computerfirma: Pasi.
    Er ging mit schnellen Schritten zum Kaufhaus Stockmann. Ich folgte ihm in die Feinkostabteilung. Er nahm einen Einkaufswagen, ich einen Korb. Bei der Gelegenheit konnte ich gleich ein paar Becher Joghurt kaufen, und Hackfleisch für Sulo.
    Pasi blieb zuerst an der Obsttheke stehen und suchte ein paar rote Grapefruits und zwei Avocados aus. Dann waren Tomaten an der Reihe, zwei Stück, auch dafür nahm er wieder eine eigene Tüte. Ich hätte alles in eine Tüte gesteckt, der Umwelt zuliebe.
    In der Fischabteilung kaufte er ein Zanderfilet, an der Fleischtheke Putenaufschnitt. Ich musste mich beeilen mit meinem Hackfleisch. Zum Glück blieb er lange bei den Konserven stehen, besah sich ausgiebig die verschiedenen Olivensorten und entschied sich schließlich für grüne Oliven mit Kern. Ich nahm hastig eine Dose Thunfisch in Tomatensauce, auf die ich beinah Appetit hatte. Dann ging es zu den Milchprodukten, in der Kühltheke entdeckte ich zu meiner Freude Vanillejoghurt. Pasi legte eine Packung fettfreie Dickmilch in seinen Wagen.
    Ich nahm noch eine Tafel Schokolade, die im Regal nach mir zu rufen schien. Ich wagte nicht, mich an derselben Kasse anzu-stellen wie Pasi, aber ich hatte Glück. An meiner Kasse ging es schneller, und ich konnte in der Schuhabteilung warten, bis er bezahlt hatte.
    Er ging zurück in die Tiefgarage der Firma, wo sein BMW
    stand. Ich rannte zu meinem Fahrrad. Aber am Tor zur Garage wartete ich vergebens: Pasi war schon weg.
    Zuerst wollte ich einfach nach Hause fahren, denn es war kalt und Sulo wartete.

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