Lehtolainen, Leena
sondern auch den Kollegen das eine oder andere ab-nahm.
Auf dem Sozialamt konnte ich tagtäglich lebensnahe Thea-teraufführungen verfolgen. Da ich brav zuhörte und für niemanden Partei ergriff, war ich bald über die Cliquen innerhalb des Hauses informiert, über heimliche Beziehungen, Ressentiments und Schwärmereien. Ich hatte das Gefühl, mitten in einer Sei-fenoper zu leben, als ich den Finanzdirektor und die Leiterin der Altenpflegeabteilung beim Liebesakt auf dem Kopierer überraschte.
Die Klienten wiederum führten meistens Tragikomödien auf.
Ich hatte nie ein besonders rosiges Bild von den Menschen und von der Gerechtigkeit des Lebens gehabt, aber nun kamen mir auch die letzten idealistischen Vorstellungen abhanden: Das Leben war grausam und absurd und alle versuchten zu betrügen, wie sie nur konnten. Ich war Voyeurin, Beobachterin, Kontrol-leurin, selten aktiv beteiligt an dem aberwitzigen Variete.
Einmal wäre ich beinahe kurz auf die Bühne gelangt, für eine Todesszene wie in einer Tragödie von Shakespeare. Ein Mann, der im Drogenrausch seine Sozialhilfe abholen wollte, hielt mich für den Teufel und zückte sein Messer. Ich schrie so laut, dass ich dieses eine Mal gehört wurde. Zur Heldin des Stücks wurde meine Kollegin, die dem Drogensüchtigen einen Stuhl über den Schädel zog und mir das Leben rettete. Im Schutzhafen hatte ich wenigstens eine Sprechrolle und entschied manchmal sogar selbst, was ich sagte.
Vielleicht sollte ich jetzt in Pasi Leiwos Schauspiel eindringen.
Was würde er wohl sagen, wenn ich das Fenster einschlug, die hell erleuchtete Küche betrat und seinen Wein austrank? Oder wenn ich ihm das Glas über den Kopf schüttete?
Pasi hatte das Essen fertig und setzte sich an den Tisch. Das Zander-Kartoffel-Gericht schmeckte offenbar. Ich sah ihm eine Viertelstunde beim Essen zu, dann räumte er das Geschirr in die Spülmaschine, knipste das Licht aus und verschwand.
Ich schlich zurück auf die Straße und tat, als ob ich bei Leiwos etwas in den Briefkasten steckte. Hinter den Büschen sah ich Pasis Scheitel und das bläuliche Licht des Fernsehers. Offenbar wollte er einen gemütlichen Abend zu Hause verbringen und sich die Krankenhausserie anschauen. Als einer der Nachbarn seinen Hund Gassi führte, musste ich gehen.
Es war unter null, und der Mond, der am Vorabend ganz rund gewesen war, leuchtete gleichgültig am südlichen Himmel. Ich hatte noch nie mit einem Mann im Mondschein auf einer Bank gesessen.
Zu Hause wollte Sulo unbedingt auf den Hof, aber ich aß erst einen Joghurt und zog mir einen zweiten Pullover über, bevor ich mit ihm nach draußen ging. Er zog und zerrte zum mittleren Hof, in den Sandkasten durfte er nicht. Er rannte weiter, zu Kalles Wohnung, und da die Jalousien heruntergelassen waren, ließ ich ihm seinen Willen.
Das Fenster stand offen, ich hörte Gitarrenklänge und Gesang.
Nun geh ich,
Gevatter Tod, den fürcht ich nicht.
Mit ihm will ich jetzt gehen,
Seelenglocken läuten schon,
Ich gehe, zurück sehn ich mich nicht.
Mich packte das Grauen, als stünde der Sensenmann persönlich neben mir. Hastig hob ich Sulo hoch, er versuchte kratzend und fauchend, sich loszureißen. Das Lied war zu Ende, eine Frauenstimme sprach gedämpft, und ein schlanker weiblicher Schatten bewegte sich in der Wohnung. Kalles breitschultrige Silhouette tauchte auf, dann sah ich die beiden Schatten miteinander verschmelzen.
Ich ging nach Hause und weinte.
Acht
Acht
Am nächsten Morgen kam ich kaum aus dem Bett. Es war noch dunkel, durch das Fenster sah ich den sternlosen Himmel und windgepeitschte nackte Weidenbüsche. Warum sollte ich mich nicht auch einmal unter der Decke verkriechen und die anderen arbeiten lassen? Ein paar Minuten delektierte ich mich an dem Gedanken, dann zwang ich mich aufzustehen, obwohl ich wusste, wie lächerlich es war, die Tapfere zu spielen. Dem Rest der Welt war es völlig egal, ob ich aufstand oder nicht.
Der Fußboden war so kalt, dass ich schleunigst die Flausch-socken anzog. In der Nacht hatte es gefroren, ein Nachbar schabte mit einem hoffnungslos kleinen Kratzer an seinem Auto herum.
Leena Huttunens Todesanzeige stand in der Zeitung. Als ich sie im Frühjahr das letzte Mal gesehen hatte, glich sie einer Spinne. Der Krebs hatte ihre Gliedmaßen ausgezehrt und sich in Leber und Milz ausgebreitet, sodass ihr Bauch sich blähte, als wäre sie schwanger.
Der Vers Gevatter Tod, den fürcht ich nicht war mir vor dem
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