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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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das Wechselgeld gern geschenkt, aber auch wir hatten unsere Vorschriften. Nachdem ich achtunddrei-
    ßig Mark und die Quittung in Empfang genommen hatte, führ-te ich Anja in das Haus, das sie nur allzu gut kannte. Ich brachte sie in eins der fertig hergerichteten Zimmer, zog ihr die klatsch-nassen Pantoffeln aus und gab ihr Wollsocken, holte ein Nachthemd und Waschzeug, legte einen Eisbeutel auf die geschwollene Lippe. Andere Verletzungen schien sie nicht zu haben, aber eine innere Blutung war natürlich nicht auszuschließen. Anneli würde sie genauer untersuchen, sie war ausgebildete Krankenschwester.
    Anja zitterte immer noch, ich wickelte sie in einen großen wollenen Schal. Als ich sie fragte, ob sie etwas essen oder trinken wolle, schüttelte sie nur den Kopf. Trotzdem brachte ich ihr ein Tablett mit heißem Saft und ein paar Keksen. Als ich gehen wollte, packte sie mich mit überraschend festem Griff am Handgelenk.
    «Heikki … Heikki hat mich im Treppenhaus abgefangen. Er hat mich gezwungen, die Tür aufzuschließen. Er war wütend wegen dem neuen Schloss.»
    Ihre Finger umschlossen meinen Arm wie eine Handschelle, in den geröteten, wässrigen Augen standen Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.
    «Schlaf dich erst mal aus. Morgen erstatten wir Anzeige.»
    «Nein! Kaarlo ist aus dem Gefängnis raus! Er bringt Heikki auch noch um, wenn er davon erfährt!»
    Das wäre die beste Lösung, dachte ich kaltschnäuzig. Es fiel mir schwer, mir den unbekannten Kaarlo Jokinen auch nur einen Deut weniger widerwärtig als seinen Vater und seinen Bruder vorzustellen. Aber wie sollte ich Anja dazu bewegen, Anzeige zu erstatten, wenn mir das früher schon nicht gelungen war, als sie viel schlimmere Verletzungen hatte als diesmal? Na-türlich konnte ich selbst Anzeige erstatten, und Hauptkommissarin Kallio würde bestimmt ermitteln, aber laut Gesetz konnte man Anja nicht zwingen, gegen ihren eigenen Sohn auszusa-gen.
    In dieser Nacht fiel es mir nicht schwer, wach zu bleiben, denn Anja und Heikki Jokinen spukten mir im Kopf herum. Gegen drei Uhr kam noch eine Klientin, eine ziemlich betrunkene, etwa zwanzigjährige Studentin. Der Streit mit ihrem Freund war ein bisschen ausgeartet, wie sie es ausdrückte. Pauli hätte sich geweigert, eine derart alkoholisierte Person ins Frauenhaus aufzunehmen, aber ich setzte mich über die Vorschriften hinweg und gab dem Mädchen Kopfschmerztabletten und ein Mittel gegen Übelkeit. Später horchte ich an der Tür auf ihr gleichmä-
    ßiges Schnarchen. Auf diesem Flur hatte ich schon zigmal meine Runden gedreht, wie die Mutter einer Großfamilie in ihrem Reich, wie ein Schutzengel.
    Anneli versorgte gemeinsam mit der erschöpften Mutter das unter Koliken leidende achtwöchige Baby, ich hörte das Weinen gedämpft durch die Wände dringen, füllte Formulare aus und schaute nach draußen, wo ein halb ergrauter Hase herum-sprang. Unser Zaun hatte offenbar irgendwo ein hasengroßes Loch. Ich schrieb unserem Hausmeister einen Zettel mit der Bitte, den Zaun zu kontrollieren, machte die Statistiken fertig und lauschte an Anja Jokinens Tür. Da ich keine Atemgeräusche hör-te, spähte ich vorsichtig ins Zimmer und sah, dass sich die Bettdecke gleichmäßig hob und senkte. Anja hatte gelernt, lautlos zu schlafen, um ihren Mann nicht zu stören.
    Sie hatte sich damit abgefunden, dass selbst ein ausgewechseltes Schloss Heikki nicht aufhielt. Wie viel Geld hatte er ihr diesmal abgenommen? In Bezug auf Familienangehörige war das finnische Strafrecht überaus nachsichtig, es schien auf der Vorstellung zu beruhen, dass Kinder und Eltern sich immer lieben und dass Ehegatten alles gemeinsam besitzen. Das Gesetz schützte Heikki Jokinen und seinesgleichen, Polizisten und Staatsanwälte konnten nichts gegen sie ausrichten.
    Die Kerzen waren fast heruntergebrannt, blaues und weißes Stearin mischte sich auf den von Anna Hautala ererbten silber-nen Kerzenständern zu dunklem Türkis. Seit eine junge Drogensüchtige drei Paar geklaut hatte, hatten wir uns abgewöhnt, die wertvollen Kerzenständer im Aufenthaltsraum der Klientinnen aufzustellen. Sie war erwischt worden, weil sie, vor Ent-zugserscheinungen zitternd, auf dem Hof gestolpert war. «Man darf nicht zu gutgläubig sein», sagte Pauli nach dem Vorfall und trug die Kerzenständer in unsere abschließbaren Arbeitszimmer.
    Ich dachte an Paulis Worte und an die zierliche, grauhaarige Frau, die in der oberen Etage schlief, dann pustete ich die Kerzen

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