Lehtolainen, Leena
terrori-siert wurden. Zwei Drohanrufe reichten vermutlich nicht einmal für eine Geldstrafe, zumal der erste nur durch das Anrufre-gister der Telefongesellschaft nachzuweisen war, das nur auf Gerichtsbeschluss freigegeben wurde. Viel wichtiger war mir, dass Timo Takala ordentlich ins Schwitzen geriet.
Erleichtert kroch ich unter die Decke. Timo bedrohte Sulo und mich, aber seine Drohungen zeigten, dass er eigentlich nichts über mich wusste. Ich sah die schwarzrot leuchtende Lilie auf meinem Nachttisch an. Ob Kalle sie selbst ausgesucht hatte, ob er die Blütenblätter gestreichelt hatte … Die eisige Kälte in meinem Innern wich einer glühenden Hitze, von der ich mich nur befreien konnte, indem ich mit mir selbst das machte, was in meiner Phantasie Kalle tat.
Am Unabhängigkeitstag hatte ich Spätdienst. Der Abend verlief fröhlich, wir saßen vor dem Fernseher und sahen uns die Übertragung vom Präsidentenball an, bewunderten die Abend-kleider der eingeladenen Damen und kauten den politischen Klatsch des letzten Jahres durch. Unsere derzeitigen Klientinnen waren verhältnismäßig wenig lädiert, sodass auch ich mich entspannen konnte. Ich strickte an einem neuen Pullover, diesmal in Himbeerrot, Anneli stopfte Strümpfe, Suvi flickte die Hose ihres Sohnes. Das Baby schlummerte in einer Wippe zu ihren Füßen. In einem Korb duftete frisches Hefegebäck, dazu gab es Tee. Auf einmal wurde mir klar: Das hier war meine Familie, diese zerschlagenen Menschen und die Kolleginnen, die gemeinsam mit mir versuchten, sie wieder zusammenzuflicken.
«Da sind Hunderte von Frauen. Denkt daran, dass mindestens hundert von ihnen schon mal verprügelt worden sind, wo-möglich von dem Mann, in dessen Begleitung sie heute Präsident Ahtisaari die Hand schütteln. Irgendeine von diesen Frauen hat heute ihre Frisur ändern, sich ein hochgeschlossenes Kleid oder extrastarkes Make-up kaufen müssen, um ihre blauen Flecken zu verbergen», sagte ich, ohne von meinem Strick-zeug aufzusehen.
Mein Kommentar verdarb nicht etwa die Stimmung, sondern gab den Anstoß zu einem Gesellschaftsspiel. Ist die so eine wie wir, oder vielleicht die? Die Eishockeychefin, die ins Parlament wollte, die Angehörige des Vorstands der Bank von Finnland, die Abgeordnete, die Frau des Aufsichtsratsmitglieds der Finnair?
Keine unserer Klientinnen hätte auch nur einer dieser Auser-wählten das gleiche Schicksal gewünscht, das sie selbst getroffen hatte, aber der Gedanke, die Kreationen von Modeschöpfer Jukka Rintala könnten womöglich blaue Flecken verbergen, ver-ringerte die eigene Schande. Blauweiße Kerzen flackerten paarweise an den Fenstern, und eine Weile war es friedlich und behaglich.
Dann klingelte das Telefon.
«Heidi Halonen hier, guten Abend. Ich bin Taxifahrerin und bringe Ihnen einen Fahrgast. Die Frau hat kein Geld bei sich, aber sie behauptet, dass Sie mir die Fahrt bezahlen.»
«Kann ich bitte mit ihr sprechen?»
«Also … sie ist ziemlich übel zugerichtet, sie kann kaum reden. Ich hatte schon überlegt, ob ich die Polizei verständigen sollte.»
«Wie heißt die Frau denn?»
«Anja Jokinen.»
«Bringen Sie sie her. Ich warte an der Tür und zahle Ihnen die Fahrt.»
Ich holte einen Hunderter aus der Notfallkasse, dann zog ich mir den Mantel über, denn die Kälte war wieder schärfer geworden, wir hatten minus zwanzig Grad. Die Erde glänzte stahlhart, die Pflanzen, die aus ihr hervorragten, schienen um eine schützende Schneedecke zu betteln. Vom Mond war nur ein kanuförmiger Streifen zu sehen.
Es war still auf der Straße, ich hörte das Taxi schon von weitem. Eine junge Fahrerin mit der Statur einer Speerwerferin stieg aus und half Anja Jokinen aus dem Wagen. Bei Anjas Anblick verstand ich, wieso sie nicht selbst angerufen hatte. Ih-re Oberlippe war extrem geschwollen. Sie trug nur einen Rock, eine Strickjacke und Pantoffeln.
«Sie haben doch hoffentlich einen Arzt im Haus?», fragte die Taxifahrerin besorgt, als ich den Mantel auszog und der zitternden Anja umlegte. «Das macht zweiundsechzig Mark. Ich wäre ja gern umsonst gefahren, aber das geht nicht. Der Chef hat mit-gekriegt, dass ich einen Fahrgast habe.»
Sie verzog das Gesicht und zeigte auf Anja: «Sie hat mich mitten auf der Olarinkatu gestoppt und mir die Visitenkarte des Frauenhauses unter die Nase gehalten. Hätte ich vielleicht doch besser die Polizei rufen sollen?»
«Wir kümmern uns schon um sie», sagte ich und gab ihr den Hunderter. Ich hätte ihr
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