Lehtolainen, Leena
wurden? Auf meinen geliebten Mantel würde ich ungern verzichten, außerdem konnte manch einer bezeugen, dass ich einen tiefroten Stoffmantel besessen hatte.
Wenn ich ihn zum Flohmarkt trug oder wegwarf, machte ich mich erst recht verdächtig. Aber würde mich überhaupt jemand mit Heikki in Verbindung bringen? Was war denn mit denen, die im gleichen Bus gesessen hatten? Woher sollte ich wissen, wie viele Leute beobachtet hatten, wie wir tranken und in den Wald schlichen, wie viele Heikkis Brüllen gehört hatten oder den überraschten Ausruf, als er abstürzte. Ich konnte es nicht wissen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten.
Wenn Heikki ohne Hilfe aus dem Wald herausgefunden hatte, ging er sicher nicht zur Polizei. Stattdessen würde er wahrscheinlich nach mir suchen. Wenn ihn jemand gefunden und ins Krankenhaus gebracht hatte, saß ich in der Tinte. Dann wurde die Polizei gerufen, und Heikki konnte wer weiß was erzählen.
Wem würde die Polizei glauben, ihm oder mir?
Das Wasser, in dem die Flasche lag, kochte. Ich schaltete die Platte ab und machte mir in der Mikrowelle einen Becher Ka-kao warm. Dann wusch ich den Pullover und hängte ihn auf.
Ich ging unter die Dusche und dann in die Sauna, wo ich es so heiß werden ließ, wie es der erbärmliche Elektroofen erlaubte.
Ich wusch mir gründlich die Haare und schrubbte mich mit einer harten Bürste ab. Anschließend schaltete ich die Waschmaschine ein. Als ich ein frisches Nachthemd und Bettsocken aus dem Schlafzimmer holte, sah ich, dass mein Anrufbeantworter zwei Nachrichten anzeigte. Hatte die Polizei etwa schon angerufen?
Die erste Nachricht war von meiner Mutter:
«Bist du krank, oder warum gehst du nie dran? Ruf mal an, dein Vater hat Lungenentzündung.»
Vor einigen Jahren hatte man meinem Vater wegen eines Krebsgeschwürs den einen Lungenflügel entfernt. Er selbst führte die Krankheit darauf zurück, dass er als junger Mann im Winter immer im Bergwerk gearbeitet hatte, obwohl der Arzt gesagt hatte, die zwei Schachteln North State, die er täglich rauchte, hätten wohl auch etwas zum Krebs beigetragen. Mein Vater hatte sich erstaunlich gut erholt und rauchte nach wie vor mindestens eine Schachtel pro Tag. Lungenentzündung …
Ich machte mir keine Sorgen. Er würde wohl nicht gleich daran sterben.
Die zweite Nachricht war von Kalle.
«Ich hätte dich gern zu einem Spaziergang im Sturm und danach zu einer Tasse Tee eingeladen, aber du bist wohl auf der Chorprobe. Na, dann bis zum nächsten Sturm.»
Kalle. Ob er verstehen würde, weshalb ich Heikki getötet hatte? Würde er mich im Gefängnis besuchen, so wie seinen depri-mierten Freund?
Gefängnis. Was dachte ich denn da? Ich kam doch nicht ins Gefängnis!
Ich fütterte Sulo, kochte einen Teller Instant-Gerstenbrei und aß ihn mit Erdbeermarmelade. Ich zog den Telefonstöpsel heraus und sah nach, ob das Handy ausgeschaltet war. Dann nahm ich zwei Schlaftabletten und legte mich mit «Anne auf Green Gables» ins Bett. Bevor die Heldin in Redmond eintraf, schlief ich ein.
Am nächsten Morgen sah die Welt aus, als wäre ein riesiger Beutel Wattebäusche über ihr ausgeleert worden. Der Schnee ließ alle Formen rund und weich erscheinen, und obwohl es be-wölkt war, lag über allem ein weiches Licht. Die Autofahrer schaufelten ihre Gefährte verzweifelt aus einem halben Meter Schnee. Der seltsame Mann aus dem Treppenhaus B lief mit seinem Sohn auf Skiern los. Jetzt mochte man schon glauben, dass in zwei Wochen Weihnachten war.
Da ich Abendschicht hatte, konnte ich in aller Ruhe Pläne schmieden. Ich setzte Kaffee auf und holte die Zeitung. Nervös blätterte ich sie durch, aber zum Glück stand nichts von einem in Eestinkallio aufgefundenen Toten darin.
Sollte ich nachsehen, ob Heikki noch am Fuß des Sendeturms lag? Ich konnte ja behaupten, ich wäre zufällig über die Leiche gestolpert. Aber nein – ich wollte die Aufmerksamkeit der Polizei nicht auf mich lenken. Vielleicht hatte der Schnee Heikki und alle Spuren zugedeckt.
Ich aß, soviel ich konnte, und zog mich an. Ich versteckte meine kurzen Haare unter der Mütze und suchte die alte Brille hervor. In meinem dunkelblauen Schneeanzug war ich wieder ein unauffälliger Niemand. Ich packte die leere Schnapsflasche und den Staubsaugerbeutel in meinen Rucksack, kraulte Sulo ein Weilchen und ging zur Haltestelle. Mit der Elf fuhr ich zur Esso-Tankstelle in Niittykumpu, wo ich den Staubsaugerbeutel in die Mülltonne warf. Dann
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