Lehtolainen, Leena
ging ich zum Glascontainer und ließ die Schnapsflasche hineinfallen. Ich fuhr nach Hause zurück, zog bessere Sachen an und richtete meine neue Frisur. Dann ging ich zur Arbeit.
In der letzten Nacht war es im Schutzhafen ruhig gewesen, keine Neuaufnahme.
«Wie geht es Anja Jokinen?», fragte ich Anneli.
«Anja? Der geht es ganz gut, sie kann heute nach Hause. Ihr Sohn holt sie gegen drei ab.»
«Ihr Sohn? Was soll das denn? Anja ist doch hier, weil sie vor Heikki weggelaufen ist», sagte ich hitzig. In Wahrheit hätte ich Anneli schütteln mögen und sie anschreien, ob Heikki etwa am Leben wäre.
«Nicht der brutale Sohn, sondern der andere. Der gute Sohn.
Anja ist schon ganz aufgeregt.»
«Kaarlo? Der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden ist?»
Ich wollte sofort mit Anja reden, aber auf dem Flur wurde ich von Pauli aufgehalten. Seine Stimme war ein paar Tonstufen hö-
her als normal, sein Gesicht hatte die Farbe einer halbreifen Tomate.
«Warum intrigierst du gegen den Schutzhafen?»
«Wie bitte?! Was meinst du?»
«Komm in mein Zimmer, dann zeig ich’s dir!» Pauli schob mich in sein Direktorenzimmer und nahm einen Brief vom Tisch. Den Knitterfalten nach hatte der Empfänger den Brief zu-sammengeknüllt, sich dann aber besonnen und das Papier wieder glatt gestrichen.
«Du warst es doch, die Tiina Leiwo bemuttert hat, und du hast ihr auch geraten, nicht zu ihrem Mann zurückzugehen. Hast du sie aufgehetzt, das hier zu schreiben, oder ist das auf ihrem eigenen Mist gewachsen?»
An die Mitarbeiter und den Vorstand des Frauenhauses Schutzhafen
Ich war im Oktober/November dieses Jahres zweimal Klientin des Frauenhauses Schutzhafen. Beide Male bin ich vor meinem gewalttätigen Ehemann Pasi geflohen.
Beim ersten Mal hatte mich Pasi so heftig geschlagen, dass mein Auge zuschwoll. Er versuchte auch, mich zu würgen. Beim zweiten Mal musste ich ins Krankenhaus, von wo ich in den Schutzhafen zog. Ich hatte eine Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Kinn.
Von den Misshandlungen war ich so geschockt, dass ich völlig urteilsunfähig war. Ich hatte Angst vor Pasi, aber auch vor der Reaktion der Leute, wenn ich zugäbe, dass er mich schlägt. Ich hoffte, im Frauenhaus Rat zu bekommen.
Erst nachdem ich eine Therapie angefangen habe, ist mir klar geworden, dass Misshandlung ein Verbrechen ist, das immer zur Anzeige gebracht werden muss, selbst wenn der Täter ein Familienmitglied ist. Von den Mitarbeitern des Frauenhauses Schutzhafen hat nur eine, Säde Vasara, mich ermutigt, Anzeige zu erstatten. Sie hat mich jedoch nicht zur Polizeidienststelle gebracht, weil ich es nicht wollte. Im Schutzhafen wird nichts getan, wenn die Klientin selbst es nicht will, selbst dann nicht, wenn die Klientin vor Angst nicht bei Sinnen ist und keine vernünftigen Entscheidungen fällen kann.
Beim ersten Mal versuchte Pasi verzweifelt, herauszufinden, wo ich war. Offensichtlich vermutete er, dass ich in den Schutzhafen geflohen war, denn er wurde von Mitarbeitern gesehen, als er vom nahe gelegenen Wald aus das Frauenhaus mit dem Fernglas beobachtete. Das Personal hat darüber keine Meldung an die Polizei gemacht.
Ich habe Erkundigungen eingezogen und festgestellt, dass die einzelnen Frauenhäuser sehr unterschiedliche Vorgehensweisen haben. Manche Frauenhäuser ermutigen misshandelte Frauen, sich von den Tätern zu trennen, und verwehren den Männern jeden Zutritt. Andere wiederum versuchen die ganze Familie zu behandeln, die letztlich selbst entscheiden soll, ob sie zusammen-bleibt.
Das Ziel des Schutzhafens scheint es zu sein, die Familien zu erhalten, selbst wenn die Ehefrau dafür mit dem Leben bezahlen muss. Der Leiter des Schutzhafens, Pauli Peltola, hat mich geradezu genötigt, einem Treffen mit Pasi zuzustimmen und nach Hause zurückzukehren. Beim Familiengespräch schien Peltola Pasis Versicherung, er werde sich bessern, uneingeschränkt zu akzeptieren, obwohl er durch seine Tätigkeit gelernt haben sollte, wie selten plötzliche Verhaltensänderungen sind. Wir wurden nach Hause entlassen, ohne dass irgendwelche Kontrollbesuche vereinbart wurden.
Auch beim zweiten Mal, als Pasi mich krankenhausreif geschlagen hatte, war Säde Vasara die Einzige, die mich ermutigte, Anzeige zu erstatten. Das übrige Personal war zwar freundlich, aber ich hatte den Eindruck, dass insbesondere der Leiter nur an dem interessiert ist, was innerhalb des Hauses geschieht. Wäre Pasi nicht tödlich verunglückt, wäre ich
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