Lehtolainen, Leena
mechanisch funktionierender Roboter zu stecken, der mit ruhiger Stimme meinen Namen nannte.
«Kriminalhauptmeister Erja Kovero, Polizei Espoo, guten Tag.
Sie haben Anfang der Woche einen Drohanruf angezeigt.»
«Ja.»
Vor Erleichterung gaben die Gelenke des Roboters nach, ich sackte auf meinen Stuhl und musste mir alle Mühe geben, nicht in hysterisches Lachen auszubrechen.
«Wir haben festgestellt, von welchem Anschluss der Anruf kam. In dem betreffenden Haushalt leben vier Personen. Könnten Sie die Stimme der Person, die Sie angerufen hat, noch einmal beschreiben?»
«Das ist eigentlich nicht mehr nötig. Ich habe selbst herausgefunden, dass der Anruf von einem Mann namens Timo Takala kam. Er singt im selben Chor wie ich und hat gestern nach der Probe zugegeben, dass er der Anrufer war. Ich hätte Ihnen das mitteilen müssen, aber ich hatte am Vormittag sehr viel zu tun.»
Tatsächlich hatte ich Timo Takala völlig vergessen. Kriminalhauptmeister Kovero sagte, sie würde ihn vorladen. Ob Anklage erhoben würde, hinge von mir ab, denn Drohanrufe waren An-tragsdelikte. Insgeheim hatte ich mir überlegt, dass die Vorla-dung als Strafe ausreichte, aber da ich das vorläufig weder Timo noch die Polizei wissen lassen wollte, gab ich mich rachsüchtiger, als ich war. Auf jeden Fall würde sich die Sache bis nach Weihnachten hinziehen.
Nachdem ich aufgelegt hatte, blieb ich am Fenster stehen und schaute auf den Hof, wo Maisa mit den kleinsten Kindern einer Klientin Schneelaternen baute. Die Temperatur war im Lauf des Tages gesunken, jetzt hatten wir schon zehn Grad unter null.
Der frische Schnee glitzerte wie ein Feuerwerk in Dutzenden von Farben, die Sonne brach durch die Wolken und ließ die Fichten im Hof silbrig glänzen. Alles war rein: der Schnee, Maisas azurblauer Mantel, die Engelsfigur, die die vierjährige Jessica in den Schnee gedrückt hatte. Nur ich war befleckt und würde nie mehr sauber werden, selbst wenn ich mich im Schnee ver-grub.
Anja Jokinen saß im Fernsehzimmer und schaute sich eine Wiederholung von «Dallas» an. Die geschwollenen Finger spielten unruhig mit dem Saum ihrer Bluse. Auch Anja machte beim Fernsehen gern Handarbeiten, die einem das Gefühl gaben, seine Zeit nicht zu vergeuden. Ich fuhr beinahe zurück, als sie mich anblickte, denn ein paar grauenvolle Sekunden lang hatte sie genau denselben Gesichtsausdruck wie Heikki. Als ich genauer hinsah, entdeckte ich die gleichen Augenbrauen, das gleiche vorstehende Kinn und die gleichen schmalen Lippen. Anjas Nase war so oft gebrochen, dass man sich ihre ursprüngliche Form kaum mehr vorstellen konnte.
«Tag, Anja. Geht’s nach Hause?»
«Ja. Kaarlo holt mich gegen vier ab, wenn er von der Arbeit kommt. Gerade erst aus dem Gefängnis und schon eine Stelle.
Kaarlo war immer ein guter Junge.»
«Er hilft dir sicher, das Schloss auszuwechseln.»
«Bestimmt.» Anja warf einen Blick auf den Bildschirm, wo ein mageres Mädchen mit tadellosen Jacketkronen zum Schoko-ladekonsum verleitete. «Ich wollte Kaarlo gar nichts von Heikkis Dummheiten sagen, aber dann musste ich es doch tun. Er war ganz schön wütend, er hat gesagt, er setzt Heikki den Kopf zurecht. Wenn sie sich bloß nicht prügeln, wo doch Kaarlo auf Dingsbums … noch nicht endgültig entlassen ist.»
«Auf Bewährung», ergänzte ich.
«Genau. Heikki behauptet, Kaarlo kommt wieder ins Ge-fängnis, wenn er sich nicht benimmt. Heikki redet immer so hässlich über Kaarlo, dabei ist Kaarlo doch gar kein Schurke. Er hat seinen Vater aus Versehen getötet und nicht mit Absicht, wie Heikki immer sagt.»
«Hat Heikki versucht, dich hier im Frauenhaus anzurufen?», unterbrach ich Anjas Lamento.
«Diesmal nicht. Ich hab richtig Angst, wie meine Wohnung aussieht. Manchmal hat er da so wüst gefeiert, dass alles kaputt und dreckig war. Aber Kaarlo hat mir versprochen, dass ich bei ihm wohnen kann, bis die Wohnung wieder in Ordnung ist.
Jetzt, wo Kaarlo wieder da ist, wird alles anders!»
Ich hielt es eher für wahrscheinlich, dass der Wunderknabe Kaarlo im Knast mit Drogen Bekanntschaft geschlossen und Anja bald einen neuen Abstauber am Hals hatte. Sollte ich dann wieder handeln? Hatte ich noch genug Zeit?
Eine Liebesszene zwischen Pamela und Bobby fesselte Anjas Aufmerksamkeit. Ich ging in mein Zimmer zurück und füllte für Anja und zwei andere Klientinnen Formulare aus, spielte mit Janica und ihren Puppen und bemühte mich, Pauli aus dem Weg zu gehen. Das war nicht schwer,
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