Lehtolainen, Leena
spät erfahren, dass ich nicht die Einzige war, die Anja schützte? Um meine furchtbaren Gedanken auszuschalten, blieb ich nach Dienstschluss noch im Schutzhafen, half der Putzfrau beim Wäschesortieren und brachte Janica zu Bett. Im Laufschritt machte ich mich dann auf den Weg, obwohl die Beine mir den Dienst versagen wollten. Zu Hause desinfizierte ich Sulos Katzenklo, füllte es mit frischer Katzenstreu, bügelte, mangelte und tat alles Mögliche, um richtig müde zu werden, aber es half alles nichts. Heikki Jokinen spukte mir im Kopf herum, es blieb mir nichts anderes übrig, als wieder eine Schlaftablette zu nehmen.
Am Freitag zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn das Telefon klingelte. Als ich während der Kaffeepause am Nachmittag die Sirene eines Einsatzwagens hörte, kippte ich meine Tasse um und suchte in der Küche fieberhaft nach dem Wischtuch. Gleich würde der Wagen vor dem Schutzhafen anhalten, gleich würde es klingeln …
Nichts dergleichen geschah. Als ich die Kaffeepfütze aufgewischt hatte, war das Geräusch in der Ferne verklungen. Ich war erleichtert, als Ritva sich krankmeldete, und bestand darauf, ihre Nachtschicht zu übernehmen. Zwischendurch ging ich schnell nach Hause, um Sulo zu füttern, dann kehrte ich ins Frauenhaus zurück. Ich schaffte alles, solange ich nicht an die Familie Jokinen zu denken brauchte. Während der Nacht erledigte ich mehr Schreibarbeit als Pauli in zwei Wochen. Gegen fünf schlich ich mich hinaus und holte die Zeitung, sie brachte keine Nachricht über einen Leichenfund. Am Samstagmorgen war ich so erschöpft, dass ich ohne Tabletten einschlief.
Am Nachmittag ging ich einkaufen. Von einer Telefonzelle aus rief ich bei Heikki Jokinen an. Er meldete sich nicht. Vielleicht sollte ich wirklich zum Sendemast gehen und mich vergewissern, dass seine Leiche nicht unter einer Schneewehe begraben war? Nein, das wäre ein Fehler wie aus dem Lehrbuch! Hieß es nicht, der Täter kehrt immer zum Tatort zurück?
Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Ich sah mir die Filme mit Tauno Palo an, die ich im Lauf des Herbstes aufgenommen hatte, und strickte meinen roten Baumwollpullover fertig. Ich hatte mittlerweile noch mehr abgenommen, die Schlüsselbeine standen hervor und meine Röcke waren mir an den Hüften zu weit. Ich freute mich nicht darüber, im Gegenteil.
Woher sollte ich die Energie nehmen, mir neue Kleider zu kaufen?
Gerade als ich überlegte, ob ich in die Sauna gehen sollte, klingelte es. Hastig zupfte ich meine Frisur zurecht. Natürlich war es Kalle. Er trat ein, ohne zu fragen, zog die Schuhe aus und ließ sich auf das Sofa fallen. Sulo sprang ihm sofort auf den Schoß und fing an zu schnurren.
«Magst du einen Tee?»
«Wenn es nicht zu viel Umstände macht. Oder hättest du etwas Stärkeres?»
Ich hatte noch den Rotwein, den ich zusammen mit dem Schnaps für Heikki Jokinen gekauft hatte. Es kam mir makaber vor, Kalle den Wein anzubieten, aber ich tat es trotzdem.
«Gib mal her, ich mach das schon», meinte er, nachdem er meinem vergeblichen Kampf mit dem Korkenzieher eine Weile zugesehen hatte. Mir fehlte die Kraft in den Armen.
«Du solltest dir einen besseren Korkenzieher anschaffen», schnaufte er, als er den trocken gewordenen Korken endlich heraus hatte.
«Ich habe nicht viel Verwendung dafür.»
Die Weingläser auf dem obersten Schrankbrett waren ver-staubt. Ich spülte sie aus und trocknete sie ab, bevor ich den Wein eingoss. Meine Hände zitterten, dunkelrote Flüssigkeit rann auf das Holztablett und bildete einen unschönen Fleck. Ich setzte mich in den Sessel und trank Kalle mit ungeschickter Geste zu. Kalle hob ebenfalls sein Glas, dann schüttelte er den Kopf.
«Hast du wirklich nicht gewusst, dass ich Anjas Sohn bin?»
«Nein, ehrlich nicht. Wie geht es Anja?»
«Den Umständen entsprechend gut. Ich habe bei ihr über-nachtet, gestern haben wir das Schloss ausgewechselt. Sie hat versprochen, mich sofort anzurufen, wenn sie etwas von Heikki hört. Der ist offensichtlich wieder auf Sauftour. Oder er zieht es vor, nicht ans Telefon zu gehen, nach der bitterbösen Nachricht, die ich ihm hinterlassen habe.»
«Wann war das?», wollte ich wissen.
«Am Mittwoch, gleich nachdem meine Mutter mich angerufen und mir alles erzählt hatte.» Kalle trank einen Schluck. Mit seiner großen Pranke fuhr er sich durch das Haar, dann fing er an, Sulo zu kraulen, der immer lauter schnurrte und sich zufrieden auf den Rücken legte.
«Warum hat
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