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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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denn er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, vermutlich um die Vorstandsmitglieder der Anna-Hautala-Stiftung anzurufen und ihnen Tiina Leiwos Brief zu erläutern. Maisa kam mit Janicas Mutter und ältester Schwester vom Arzt zurück. Die Mutter warf ihrem Mann In-zest vor, deshalb war die Zehnjährige untersucht worden. Es stand Maisa ins Gesicht geschrieben, wie sehr das Ganze sie mitgenommen hatte.
    «Hast du den Brief von Tiina Leiwo gelesen?», fragte sie nach einer kurzen Meditation vor ihren beruhigenden Steinen. Sie behauptete, das helfe besser als Arzneien oder Gebete.
    «Hab ich. Pauli war völlig außer sich.»
    «Ich hab ihn heute Morgen aufgemacht, weil er nicht ausdrücklich an Pauli adressiert war. Was wird wohl der Vorstand dazu sagen?»
    «Pauli spricht gerade mit den Mitgliedern. Ich finde, Tiina hat Recht. Wir lassen zu viele Menschen einfach gehen. Ich weiß, dass das in diesem Haus Prinzip ist, aber es ist falsch.»
    Maisa prustete los.
    «Du hast dich wirklich verändert! Was du da sagst, denke ich schon lange, aber allein konnte ich keine Veränderungen durchsetzen. Ich habe es im Schutzhafen nur ausgehalten, weil ich mir einbilde, dass ich den Menschen doch ein kleines bisschen helfen kann. Aber wenn wir jetzt zwei Rebellinnen sind und die Voutilainen im Vorstand sitzt, können wir tatsächlich etwas be-wirken.»
    Maisa glühte wie eine Kerze im Schnee. Sie war eine ewige Optimistin, gerade das hielt sie vermutlich im Gleichgewicht.
    Kurz vor vier ging ich in Anjas Zimmer. Sie saß auf dem Bett, ihre spärlichen Besitztümer gepackt, und machte ein Gesicht wie ein Kind, das auf den Beginn seines ersten Schultags wartet.
    Ich sagte ihr, dass ich gerne kurz mit Kaarlo sprechen würde, wenn er sie abholte, denn ich hatte den Verdacht, dass Anja ihrem Sohn nicht die volle Wahrheit über Heikkis Gewalttätigkeit gesagt hatte. Sie nickte und trat ans Fenster, in ihrer Vorfreude bewegte sie sich plötzlich flink und lebhaft.
    «Da kommt Kaarlo. Guck doch mal, Säde, was für einen hübschen Sohn ich habe!»
    Ich ging ans Fenster, darauf gefasst, jemanden wie Heikki Jokinen zu Gesicht zu bekommen, einen kleinen, aufgedunsenen Typ, aber der Mann, der da über den Hof des Schutzhafens ging, sah wirklich gut aus. Er war groß und muskulös, seine schwarzen Haare ringelten sich über dem Kragen einer abgetragenen braunen Lederjacke, im Bart saßen Schneeflocken.
    Es war mein Nachbar Kalle.

    Dreizehn
    Dreizehn

    «Hallo, Säde», grüßte Kalle mich in der Eingangshalle des Schutzhafens, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, dass er seine Mutter dort abholte. «Wusstest du es die ganze Zeit?»
    «Nein. Ich habe es erst begriffen, als ich dich eben auf dem Hof sah. Jokinen ist so ein häufiger Name, und Anja hat immer nur von Kaarlo gesprochen. Ich dachte, Kaarlo wäre erst jetzt aus dem Gefängnis gekommen.»
    «Das hat meine Mutter auch gedacht. Ich wollte erst alles wieder ins Gleis bringen, bevor ich ihr erzähle, dass ich nach der Mindeststrafe entlassen worden bin.»
    Er klang bedrückt. Ich hatte nicht annähernd begriffen, wie sehr er sich gequält und geschämt hatte, nachdem er seinen Vater getötet hatte und ins Gefängnis gekommen war. Nach der Entlassung erwartete ihn ein neuer Schock: Sein Bruder misshandelte seine Mutter. Sein Bruder, den ich möglicherweise ge-tötet hatte.
    Während unseres Gesprächs hatte Anja abwechselnd von einem zum anderen geschaut, als verfolge sie ein Tennismatch.
    Jetzt fragte sie verwundert: «Kennt ihr euch?»
    «Wir wohnen im gleichen Haus.» Kalle lächelte seine Mutter an, auch für mich fiel ein kleines Stückchen Lächeln ab.
    «Ich ziehe jetzt für ein paar Tage zu meiner Mutter, bringe die Wohnung in Ordnung und kümmere mich um das neue Schloss, aber wenn ich zurückkomme, möchte ich mit dir sprechen.»
    «Ja, gern. Melde dich, wenn du wieder da bist.»
    Nachdem Anja und Kalle gegangen waren, rannte ich in mein Zimmer, schloss hinter mir ab und nahm den Hörer von der Gabel. Ich wollte ungestört sein. Was für ein Idiot ich doch gewesen war! Ich hatte die Übereinstimmungen zwischen Kalles und Anjas Geschichten einfach nicht gesehen. Obendrein war ich zu feige gewesen, Kalle zu fragen, wen er umgebracht hatte.
    Die Wahrheit war noch schwerer zu ertragen, als ich erwartet hatte.
    Obwohl ich nicht an Heikki Jokinen denken wollte, sah ich ihn vor mir, wie er vom Sendemast fiel. Und wenn er nun wirklich tot war? Warum hatte ich einen Tag zu

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