Lehtolainen, Leena
haben mich nicht anerkannt, wegen mangelnder Überzeugung. Damals war ich schwer beleidigt. Aber sie hatten mich wohl durchschaut.
Schließlich ist ein Killer aus mir geworden.»
Sein kläglicher Versuch zu lachen endete in einem Hustenanfall. Sulo sprang auf und streckte sich beleidigt, weil sein menschliches Kissen auf einmal so wackelte. Ich suchte vergeblich nach Worten, und da mir nichts einfiel, trank ich von meinem Wein. Bald darauf spürte ich eine angenehme Wärme im Bauch und hoffte, sie würde sich auch in meinem Kopf ausbrei-ten.
«Keine schöne Geschichte, aber in deinem Beruf bist du wohl an solche Dinge gewöhnt», fuhr Kalle fort. «Mutter sagt, du wärst so nett und hilfsbereit gewesen. Vielen Dank für alles, was du für sie getan hast. Ich versuche dafür zu sorgen, dass sie nie mehr ins Frauenhaus zu fliehen braucht.»
Unwillkürlich schrak ich zusammen, als hätte ich meinen eigenen Gedanken gehört. Kalle sah die kurze Bewegung und verstand sie falsch.
«Glaub jetzt nicht, dass ich Heikki auch noch umbringen will!
Nein, nein, aber ich werde dafür sorgen, dass er nicht mehr an Mutter und ihre Rente herankommt. Notfalls zieht Mutter zu mir.»
«Wirst du versuchen, sie zu einer Anzeige zu überreden?»
«Ich möchte Heikki nicht ins Gefängnis bringen, obwohl er es verdient hätte. Von da kommt keiner unversehrt zurück. Zum Entzug müsste man ihn kriegen. An dem Abend, als ich mit ihm in der Sauna war, hab ich gesehen, wie der Alkohol ihn im Griff hat. Das liegt bei uns in der Familie, ich hab früher auch mehr getrunken, als gut für mich war. Heikki würde im Gefängnis zuerst mit Alkoholschmugglern in Berührung kommen, dann mit Drogengangs, er würde Schulden machen und käme nicht mehr lebend heraus. Ich will kein zweites Menschenleben auf dem Gewissen haben.»
Kalle hatte sein Glas ausgetrunken, ich goss nach, ohne zu fragen, füllte auch mein eigenes Glas auf und hoffte, der Wein würde mein Herz beruhigen, das ungefähr zweimal pro Sekunde schlug. Warum musste Kalle ausgerechnet Anja Jokinens Sohn und Heikkis Bruder sein?
Sulo sprang auf Kalles Schoß zurück und schlug mit der Tatze nach dem Weinglas. Offenbar fühlte sich die Katze vernachläs-sigt.
«Kann ich dir irgendwie behilflich sein?» Ich versuchte, meine Berufsstimme einzusetzen, aber meine Sprechweise erinnerte fatal an Paulis selbstzufriedenen Predigtton.
«Es reicht, wenn du mit mir redest. Ich glaube nicht, dass meine Mutter mir die volle Wahrheit über Heikki gesagt hat. Erzähl mir, was passiert ist.»
Ich tat es, aber es kam mir vor, als wollte ich mit dem Bericht nur meine eigene Tat rechtfertigen. Kalles Miene wurde immer düsterer, je weiter ich mit meiner Geschichte kam.
«Und ich saß im Knast und bildete mir ein, jetzt bekäme Mutter wenigstens nie mehr in ihrem Leben Prügel. Der Gedanke hat mir die Kraft gegeben durchzuhalten. Dass sie wegen Heikki tagelang hungern musste, hat sie mir auch nicht erzählt! Und ich egoistischer Idiot musste als freier Mann unbedingt meinen Stolz haben und zuerst mein Leben in Ordnung bringen, bevor ich zu meiner Mutter marschierte. Verfluchte Scheiße!» Kalles Stimme brach, schwer zu sagen, ob vor Trauer oder vor Wut. Sulo leckte mit besorgtem Blick den tätowierten Arm, der ihn unablässig streichelte.
«Ich werde Heikki nichts antun», wiederholte Kalle, als müs-se er sich selbst davon überzeugen. «Aber hoffentlich lässt er sich nicht blicken, bevor ich all das verdaut habe. Lass uns über etwas anderes reden. Was hast du an Weihnachten vor?»
«Heiligabend bin ich zu Hause, und am ersten und zweiten Feiertag habe ich Dienst. Und du?»
«Ich bin natürlich bei meiner Mutter. Vielleicht fahren wir Heiligabend zu ihrem Bruder nach Hamina. Obwohl ich nicht weiß, ob ein Mörder dort willkommen ist.» Kalle lachte auf.
«Entschuldige den Anfall von Selbstmitleid. Ich hab getan, was ich getan habe, und natürlich trage ich dafür die Verantwortung.
In meinem letzten Jahr im Gefängnis habe ich viel über dieses Thema geredet, mit Mikke, dem Bekannten, den ich immer noch besuche. Er hat seinen Stiefbruder nach einer Rauferei von einem Felsen ins Meer gestoßen. Mikke war über seine Tat so entsetzt, dass er Selbstmord begehen wollte. Er findet, ein Verbrechen gegen das Leben kann nur durch den Tod gesühnt werden. Ich denke anders, auch wenn ich meine Tat nicht gut-heiße.»
«Kann es deiner Meinung nach gerechtfertigt sein, jemanden zu töten?», fragte ich
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