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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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mit einem Mann aus Fleisch und Blut anzufangen.
    «Vor ein paar Tagen kam ein Mann mit seinem Sohn und seiner Tochter in den Bücherbus. Alle drei jauchzten vor Freude, als sie den letzten Band der Kalle-Blomquist-Reihe entdeckten. Es muss schön sein, die Lieblingsbücher aus der eigenen Kindheit zusammen mit seinen Kindern zu lesen.»
    Meine Hand, die nach der Knabberschale getastet hatte, zuckte zurück, die Schale landete auf dem Teppich, und die Nüs-se rollten in alle Richtungen davon. Sulo erschrak zuerst vor der herunterpolternden Schale, begab sich aber gleich auf die Nuss-jagd.
    «Zum Glück ist die Schale heil geblieben», meinte Kalle und bückte sich mit mir, um die Nüsse aufzusammeln.
    «Ich trinke wohl besser keinen Wein mehr», versuchte ich zu witzeln. «Oje, ist es schon so spät? Ich muss mir die Lottozie-hung angucken, ich hab getippt.»
    Ich hatte gehofft, Kalle würde gehen, wenn ich den Fernseher einschaltete, aber er sah sich nach den Lottozahlen auch noch die Kurzberichte vom Eishockey und die Torparade der engli-schen Liga an. Ich musste an die Samstage meiner Kindheit denken, an die Fußballübertragungen, die mein Vater und meine Brüder mit Andacht verfolgten. Wenn während des Spiels das Telefon klingelte, durfte meine Mutter nicht drangehen, damit die Männer nicht gestört wurden. Ein paar Mal wollte ich auch zuschauen, aber ich wurde aus dem Zimmer gescheucht, weil ich im falschen Moment hustete oder kicherte, wenn ein Spieler auf dem schlammigen Spielfeld stolperte. Erst als Erwachsene merkte ich, dass es auch ein Genuss sein konnte, die Muskeln der Fußballer zu betrachten.
    Da saßen wir also, zwei Mörder vor dem Fernseher, die verzweifelt versuchten, wie normale Nachbarn bei einem Glas Wein eine normale Samstagabendunterhaltung zu führen. Sulo lag schlummernd zwischen uns, was mich aber nicht daran hinderte, Kalles Duft und seine Körperwärme wahrzunehmen.
    Warum war er mir erst über den Weg gelaufen, als alles zu spät war?
    Gegen zehn begann ich, demonstrativ zu gähnen und mich zu recken.
    «Ich bin müde, ich hatte letzte Nacht Dienst.»
    Kalle warf mir einen raschen Blick zu, dann lächelte er.
    «Schon kapiert. Entschuldige, dass ich so lange geblieben bin, aber hier ist es so gemütlich. Und …» Er breitete die Arme aus, und für einen Augenblick hatte ich wahnsinnig Lust, mich in seine Arme zu werfen, alles andere zu vergessen und ihm die ganze qualvolle Wahrheit zu erzählen.
    «Es hat mir gut getan, über Mutters Situation zu sprechen, noch dazu mit jemandem, der etwas von der Sache versteht. Die letzten zwei Tage war ich kurz davor, den Verstand zu verlieren, aber jetzt habe ich allmählich das Gefühl, darüber hinwegzu-kommen. Danke, Säde!»
    Kalle war mit einem Satz bei mir, umarmte mich und küsste mich auf beide Wangen. Zwischen meinen Beinen quoll Wärme auf, ich wollte seine Lippen auf meinen spüren und seine Hän-de überall, und gerade deshalb entzog ich mich seiner Umarmung, so schnell ich konnte, ohne allzu unhöflich zu erscheinen. Als er gegangen war, betrachtete ich den von Fußspuren gemusterten Schnee auf dem Hof und dachte über alles nach, was Kalle erzählt hatte. Schließlich brachten mich der Wein und die Absurdität des Lebens so durcheinander, dass ich in ein hysterisches Lachen ausbrach.

    In der Woche darauf ging es mir zum ersten Mal so schlecht, dass ich mich drei Tage krankmelden musste. Ich war zu nichts anderem fähig, als im Bett zu liegen und gegen die Übelkeit an-zukämpfen. Zum Glück hatte ich ausreichende Vorräte an Katzenfutter und Streu, sodass Sulo bekam, was er brauchte. Mein Zustand besserte sich kaum, als ich hörte, was Kalle am Donnerstag auf meinen Anrufbeantworter gesprochen hatte:
    «Hier ist Kalle, hallo. Es wäre schön, wenn wir uns vor Weihnachten nochmal sehen könnten. Ich fahre am Dreiundzwan-zigsten mit meiner Mutter nach Hamina. Heikki ist über meine Entlassung scheinbar so erschrocken, dass er sich nicht blicken lässt, und Mutter beruhigt sich allmählich. Ruf mich doch mal an, ich versuche es später auch nochmal. Bis dann!»
    Ich brachte es nicht über mich, die Nachricht zu löschen.
    Stattdessen hörte ich mir Kalles tiefe, warme Stimme wieder und wieder an, bis das Band anfing zu rauschen. Heikki hatte sich nicht blicken lassen. Wo steckte er? Es war mir zu riskant, von meiner Wohnung aus bei ihm anzurufen, stattdessen redete ich mir ein, dass in dem Wäldchen um den GSM-Sendemast viele Leute

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