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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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ihre Hunde ausführten. Wäre Heikki dort liegen geblieben, hätte man seine Leiche inzwischen gefunden. Wahrscheinlich war er nur kurze Zeit bewusstlos gewesen, hatte sich dann aufgerappelt und im nächsten Pub voll laufen lassen, ohne sich zu erinnern, was passiert war.
    Aber als ich die Hand vor Heikkis Mund gehalten hatte, hatte ich keinen Atem gespürt.
    Am Wochenende ging es mir besser. Ich übernahm die Nachtschicht am Sonntag und kaufte am Montagabend Weihnachtsgerichte und kleine Geschenke für meine Kolleginnen.
    Kalle kaufte ich eine CD von Juice Leskinen, weil er seine Kas-sette im Gefängnis so oft gehört hatte, bis sie völlig abgenutzt war. Zwei Tage vor Weihnachten sah ich Licht in seinem Fenster und ging hinüber, um ihm mein Geschenk zu geben. Als er öffnete, merkte ich sofort, dass er nicht allein war. Starker Parfüm-duft drang mir entgegen, und im Flur standen zierliche Winter-stiefel mit hohen Absätzen.
    «Bitte schön, ein kleines Weihnachtsgeschenk. Ich will nicht weiter stören, du hast Besuch.»
    «Mirja und Juuli sind vorbeigekommen», sagte Kalle, gerade als ein kleines Mädchen auf wackligen Beinen in den Flur getappt kam und mich aus großen dunkelblauen Augen an-guckte.
    «Komm doch wenigstens für einen Augenblick herein, ich habe auch ein Geschenk für dich. Lass die Schuhe ruhig an. Mirja, das ist meine Nachbarin und Freundin Säde.»
    In Schuhen und Mantel folgte ich Kalle ins Wohnzimmer, wo eine kleine, schlanke Frau saß, die wie eine Spanierin aussah.
    Sie stand auf und gab mir die Hand.
    «Mirja Koskinen-Kaitila. Sehr angenehm.»
    Mirja hatte ein sinnliches Lächeln und eine weiche Stimme.

    Sie war schön und besaß so viel Ausstrahlung, dass ich mir neben ihr plump und farblos vorkam.
    «Ich habe gehört, wie sehr Sie Anja geholfen haben. Was für eine schreckliche Geschichte.» Um Mirjas große dunkelblaue Augen bildeten sich Fältchen, sie sah besorgt aus.
    «Ich habe nur meine Pflicht getan», erwiderte ich kurz ange-bunden. Kalle kam mit einem großen, unregelmäßig geformten Paket aus dem Schlafzimmer.
    «Frohe Weihnachten, Säde!»
    Seine Umarmung war warm, aber diesmal ließ er die Wan-genküsschen aus. Ich trug das Paket nach Hause und beschloss, es erst Heiligabend zu öffnen. So kindisch durfte man zu Weihnachten schon sein.

    Seit dem Abend, an dem ich Heikki Jokinen auf den Sendemast gelockt hatte, lag Schnee. Für Heiligabend war Tauwetter ange-sagt. Schade! Einer der Gründe, weshalb ich mich fast jedes Jahr aufgerafft hatte, über Weihnachten zu meinen Eltern zu fahren, war die Tatsache, dass es in Nordkarelien fast immer weiße Weihnachten gab. Ich hasste die milden Winter in der Hauptstadtregion, den Schneematsch, die grauen Tage im Januar mit ihrem ewigen Zwielicht. Am Morgen des Vierundzwanzigsten sah es verdächtig nach Regen aus. Ich zog mir die Decke über die Ohren und sah keinen Grund aufzustehen, bevor um zwölf Uhr der traditionelle Weihnachtsfrieden verkündet wurde.
    Zum Frühstück kochte ich Reisbrei, dann schmückte ich den einen Meter hohen Weihnachtsbaum, den ich an der Tankstelle gekauft hatte; auf dem Rückweg im Bus hatten ihn die Leute mitleidig gemustert. Ich befestigte den Stern an der Spitze und hängte ein paar Lamettafäden auf, die Sulo sofort fressen wollte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als sie an eine Stelle zu hängen, an die er nicht herankam. So fiel mein Christbaum etwas unproportioniert aus.
    «Genau der passende Baum für uns beide», sagte ich zu Sulo.

    Ich sah mir im Fernsehen die Übertragung aus Turku an, wo der Weihnachtsfrieden ausgerufen wurde. Als Jorma Hynninen später im Radio «Nicht Reichtum, Macht noch Herrlichkeit»
    sang, weinte ich ein bisschen. Ich legte eine Platte mit meinen Lieblingsweihnachtsliedern auf, bereitete eine Portion Pflaumencreme zu und stellte sie zum Festwerden in den Kühlschrank. Gegen drei fing es an zu nieseln. Ich zog die Vorhänge zu, weil es sowieso dunkel war, und zündete in beiden Zim-mern Kerzen an. Gegen vier rief ich meine Eltern an und schwindelte, ich ginge gleich zur Arbeit. Im Hintergrund hörte ich eine Frauenstimme, die versuchte, die Kinder zur Ruhe zu bringen. Ich hatte fast dreitausend Finnmark für Weihnachtsgeschenke für meine Verwandten ausgegeben, hoffentlich gefielen sie ihnen.
    «Kannste nich wenigstens zwischen den Jahren kommen?», jammerte meine Mutter.
    «Ich kann mir nicht freinehmen, um diese Zeit haben wir am meisten Betrieb. Vielleicht Ende

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