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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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musste ich eben warten.
    Ich kam gerade rechtzeitig von der Arbeit nach Hause, um die Abendnachrichten des Lokalsenders zu hören. «Die Identität des gestern im Espooer Stadtteil Eestinkallio aufgefundenen Toten konnte bisher nicht geklärt werden. Nach Angabe der Polizei trug der Mann keinerlei Ausweispapiere bei sich. Die Polizei hält es für wahrscheinlich, dass die Leiche mehrere Tage im Wald gelegen hat. Der Mann ist dreißig bis vierzig Jahre alt, ein Meter vierundsiebzig groß und vierundachtzig Kilo schwer. Er hat dunkelbraunes, im Nacken leicht gewelltes Haar und bräunliche Augen. Bekleidet war der Mann mit einer hellgrauen Hose, einem braunen Pullover, einer dunkelblauen Steppjacke und Winterschuhen aus braunem Leder. Die Leiche weist Spuren von Gewaltanwendung auf.»
    Dunkelblaue Steppjacke und graue Hose … Das klang entsetzlich nach Heikki Jokinen. Die Mütze mit dem Schriftzug des Eishockeyclubs wurde allerdings nicht erwähnt, hatte er sie beim Sturz verloren? Sollte ich der Polizei einen anonymen Hinweis geben? Oder war es besser für mich, wenn die Identität des Toten möglichst lange offen blieb?
    Die nächsten zwei Tage waren eine Qual. Sooft ich konnte, hörte ich mir die Lokalnachrichten an, aber erst am Sonntag-abend war wieder von der Leiche die Rede. Die Identität des Mannes war weiterhin ungeklärt. Von meinem Fenster aus hielt ich Ausschau nach Kalles Auto, aber als es endlich auftauchte, verließ mich der Mut.
    Am Montag hatte ich frei. Trotzdem wurde ich schon um sieben wach, ging gleich zum Briefkasten und holte die Zeitung.

    Der Bericht über den Leichenfund stand auf einer der hinteren Seiten und zählte die gleichen Kennzeichen auf, die ich schon im Radio gehört hatte. Schwarz auf weiß wirkte alles noch realer und schrecklicher. Was hatte ich nur getan?
    Nach neun klingelte es. Ich war noch nicht fertig angezogen, es dauerte ein paar Minuten, bevor ich an die Tür gehen konnte.
    Als ich aufmachte, hatte sich Kalle gerade abgewandt und wollte gehen. Er hielt die Morgenzeitung in der Hand.
    «Guten Morgen, Säde. Hoffentlich habe ich dich nicht ge-weckt?»
    «Nein, nein. Vielen Dank für das herrliche Geschenk!» Ich bat Kalle herein. Sulo kam sofort angerannt, um ihn zu begrü-
    ßen, und sprang ihm auf den Schoß, als er sich an den Esstisch setzte.
    «Ich danke auch. Ich bemühe mich, die Platte nicht pausen-los aufzulegen, obwohl es mir schwer fällt. Wie hast du Weihnachten verbracht?»
    «Im Dienst. Heute habe ich frei.»
    «Das trifft sich gut, ich wollte dich nämlich um einen Gefallen bitten. Hast du heute Morgen in der Zeitung gelesen, dass Heiligabend in Eestinkallio eine Leiche gefunden wurde?»
    «Nein. Ich habe die Zeitung nur flüchtig durchgeblättert.»
    «Hör zu.» Kalle las mir den Bericht vor. Ich bemühte mich, höflich interessiert zu wirken.
    «Das könnte Heikki sein. Seit Mutters letztem Aufenthalt im Frauenhaus hat ihn niemand mehr gesehen. Wir haben vor Weihnachten immer wieder bei ihm angerufen, aber er hat nie abgenommen. Er hat Mutter nicht mal eine Karte zu Weihnachten geschickt. In der Zeitung steht, dass die Leiche vielleicht mehrere Tage im Wald gelegen hat. Es könnte Heikki sein.»
    «Wie schrecklich!» Es war eine solche Erleichterung, meine Erschütterung endlich zeigen zu dürfen, dass mein Entsetzens-schrei bestimmt übertrieben klang.
    «Meine Mutter hat gleich angerufen, als sie es gelesen hatte.

    Sie hat sich die ganze Zeit Sorgen um Heikki gemacht. Es ist eine Zumutung, ich weiß, aber würdest du mit mir in Heikkis Wohnung gehen? Vielleicht finden wir da einen Hinweis, was mit ihm passiert ist. Mutter hat mir den Schlüssel gegeben, sie wollte ihn nicht mehr behalten.»
    «Jetzt gleich?» Ich stellte mir vor, wie ich reagieren würde, wenn ich nichts von Heikkis Schicksal wüsste. Ich wäre erschrocken, aber nicht zu sehr, denn ich verabscheute Heikki ja.
    «Sobald es dir passt.»
    «Sollten wir nicht erst bei der Polizei anrufen?» Ich steckte meine Hände in die Taschen des Morgenmantels, damit Kalle nicht merkte, wie heftig sie zitterten.
    «Mutter traut sich nicht, sie hat Angst vor der Wahrheit. Und ich hätte ganz gern ein bisschen mehr Gewissheit, bevor ich freiwillig zum Polizeirevier gehe.»
    Mein Gesicht brannte, ich stand auf und ging in die Küche, um Kalles Blick zu entgehen. Verdammter freier Tag, ich konnte mich kaum weigern, Kalle zu begleiten. Ich bat ihn, mir eine halbe Stunde Zeit zum Duschen und Anziehen zu

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