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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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mir nichts anderes übrig, als die Polizei zu benachrichtigen. Ich kann Mutter nicht zumu-ten, die Leiche zu identifizieren, das muss ich selber tun.»
    Ich war am zehnten Dezember mit Heikki am Sendemast gewesen, das war ein Mittwoch. Die beiden Anzeigenzeitungen wurden mittwochabends verteilt, Heikki war also nach seinem Sturz nicht mehr nach Hause gekommen. Wir machten uns auf den Rückweg, vorbei am Sportplatz, auf dem kleine Jungen mit einem Ball Hockey spielten, weil das Spielfeld noch nicht mit Eis überzogen war.
    «In diesem Wald ist die Leiche gefunden worden», sagte Kalle, als wir auf der Höhe des Sendemasts waren. «Da hat sie vielleicht zwei Wochen lang gelegen. Komisch, dass sie nicht früher entdeckt worden ist.»
    Das fand ich auch seltsam, obwohl es an dem Abend heftig geschneit hatte. Während der Nacht war fast ein halber Meter Schnee gefallen. Das war offenbar genug, um eine Leiche ver-schwinden zu lassen.
    «Danke fürs Mitkommen», sagte Kalle, als wir den steilen Hügel hinuntergingen. «Sieh mal!»
    Zwei Eichhörnchen flitzten an einem zehn Meter hohen Fichtenstamm auf und ab. Ich freute mich, dass immer noch welche in dem kleinen Wald lebten, obwohl mitten durch das Waldgebiet eine stark befahrene Straße gebaut worden war.
    Auch Kalle musste über die Eichhörnchen lächeln, wir schauten ihnen minutenlang zu, um das Unvermeidliche hinauszuschie-ben. Anja würde Kalle nicht in Ruhe lassen, bevor er bei der Polizei angerufen hatte, mit meiner Ruhe wiederum war es endgültig vorbei, wenn die Leiche als Heikki Jokinen identifiziert wurde. Wie viel Schlaf- und Schmerztabletten hatte ich noch?
    Genug, um mir das Leben zu nehmen?
    «Nochmal, danke fürs Mitkommen. Würdest du mir noch einen Gefallen tun? Komm mit zu mir, bis ich meine Mutter und die Polizei angerufen habe.»
    Ich konnte es ihm nicht abschlagen, letzten Endes war das alles ja meine Schuld. Vielleicht hatte Kalle seinen Bruder geliebt, obwohl er ein Säufer und Schläger geworden war.
    Er rief zuerst bei Anja an und berichtete ihr kurz, dass Heikki offenbar seit Wochen nicht in seiner Wohnung gewesen war.

    «Ja, ich verständige die Polizei», versicherte er ihr. «Wenn nö-
    tig, übernehme ich die Identifizierung. Nein, ich lass dich nicht ins Leichenschauhaus. Du brauchst nicht mitzukommen. Es ist besser, wenn du zu Hause wartest. Warte mal, Säde will etwas sagen.» Kalle hatte mein Winken bemerkt.
    «Wenn Anja möchte, kann ich so lange bei ihr bleiben.»
    Das war wieder mein altes Ich, die Säde Vasara, die sogar ihre Freizeit für andere opferte. Oder war es doch das neue Ich, die mörderische Säde, die möglichst schnell wissen wollte, wer der Tote war?
    «Ich setze Säde auf dem Weg zur Polizei bei dir ab. Ich ruf jetzt erst mal da an, vielleicht hat sich ja inzwischen rausgestellt, dass es jemand anders ist. Hoffen wir es. Wenn nicht, sehen wir uns bald!»
    Kalle legte auf und sah mich an. Beim Gehen hatte sein Gesicht Farbe bekommen, aber jetzt war es wieder das blasse Gesicht eines Mannes, der jahrelang nur eine halbe Stunde am Tag an der Sonne gewesen war.
    «Wenn es doch ein anderer wäre, nicht Heikki! Ich wünschte mir so sehr, dass wir eine Chance hätten, alles zu bereden …
    Dass es nicht so kommt wie mit dem Alten.» Kalle schlug sich verzweifelt mit den Fäusten auf die Knie. Dann wählte er die Nummer der Polizeidienststelle von Espoo.
    «Kaarlo Jokinen, guten Tag. Ich habe Grund zu der Annahme, dass der in Eestinkallio gefundene Mann mein Bruder Heikki Jokinen ist. Bitte? Ja, ich warte.»
    Die Pausenmusik drang bis zu mir durch, Kalle zog eine Grimasse und hielt den Hörer von sich. Ich bekam noch mit, dass jemand sich mit «Koivu» meldete, dann hielt Kalle den Hörer wieder ans Ohr.
    «Die Kennzeichen meines Bruders Heikki stimmen mit dem überein, was in der polizeilichen Mitteilung steht, und seit zweieinhalb Wochen hat ihn niemand gesehen. Ich war gerade in seiner Wohnung und hatte den Eindruck, dass sie nach dem Elf-ten dieses Monats niemand mehr betreten hat. Ich kann sofort vorbeikommen.»
    Nachdem das Gespräch beendet war, wischte sich Kalle mit dem Handrücken über die Stirn.
    «Ich soll um halb zwölf dort sein. Kannst du Mutter Gesellschaft leisten?»
    «Ja. Hat der Polizist irgendetwas gesagt?»
    «Nein. Ich muss ein Foto von Heikki suchen. Ich glaube, ich habe keine neueren. Vielleicht meine Mutter?» Kalle nahm Fotoalben vom Bücherregal und blätterte darin. Ich konnte die Bilder nicht

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