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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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waren anstrengend gewesen, daher hatte ich den ganzen vorigen Tag geschlafen. Nun hatte ich Angst davor, zur Polizei zu gehen. Wenn ich müde war, war ich noch empfindlicher und schreckhafter als sonst. Womöglich war Kalles Verhaftung nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, und die Polizei hatte die ganze Zeit gewusst, wer die Täterin war.
    Autos rasten vorbei, vom Bus war nichts zu sehen. Wenn er in Sicht kommt, bevor die nächsten zehn Autos vorbeigefahren sind, geht alles gut, sagte ich mir. Dann werde ich nicht verdächtigt, und es gelingt mir, den Verdacht gegen Kalle zu entkräften.
    Wenn man in einer der Siedlungen von Espoo wohnte und kein Auto besaß, musste man ständig mit Fahrplänen jonglieren. Meine Kolleginnen wunderten sich, wie ich zurechtkam.
    Das fragte ich mich mitunter auch. Ich hatte nicht viel Kraft in den Armen, es fiel mir schon schwer, den Sack mit fünf Kilo Katzenstreu die zweihundert Meter von der Bushaltestelle bis zu meiner Wohnung zu schleppen. Wenn ich gleichzeitig noch etwas anderes einkaufen musste, war ich aufgeschmissen. Mit schweren Einkaufstüten Fahrrad zu fahren war eine wacklige Angelegenheit. Natürlich war es gesund, die zwei Kilometer zur Arbeit zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen, aber bei zwanzig Grad minus oder Sturzregen wünschte ich mir doch, dass zwischen der Siedlung und meinem Arbeitsplatz wenigstens ein einziger Bus führe. In den Jahren, die ich nun schon in Espoo wohnte, hatte ich zahlreiche Methoden ersonnen, mir die Zeit zu vertreiben, während ich an der Haltestelle wartete. Automar-ken konnte ich nicht voneinander unterscheiden, aber ich zähl-te Farben oder Kennzeichen und überließ schwierige Entscheidungen dem Schicksal. Wenn das nächste Auto rot ist, darf ich mir eine Tafel Schokolade kaufen. Wenn es grün ist, muss ich mich mit einem kleinen Schokoriegel begnügen, und wenn es blau ist, bekomme ich gar nichts.
    Diesmal fuhren sechzehn Autos und ein falscher Bus an mir vorbei, bevor der richtige mit sieben Minuten Verspätung kam.
    Ich hatte mir vorgenommen, nur eines zu verschweigen, nämlich dass ich am letzten Abend seines Lebens mit Heikki im gleichen Bus gesessen hatte. Das wäre einfach zu riskant.
    In der Eingangshalle des Polizeigebäudes machte sich das Maskottchen der Polizei von Espoo breit, der Polyp, ein Tinten-fisch in Polizeiuniform, von dem Kinder, die mit ihren Eltern zum Meldeamt kamen, kaum die Finger lassen konnten. Zwei kleine Jungen befingerten gerade die Fangarme, und die ent-nervte Mutter drohte ihnen mit der Polizei. Ich meldete mich bei der Aufsicht, und nach ein paar Minuten kam Wachtmeister Koivu, um mich abzuholen.
    Pekka Koivu lächelte offen, sein Händedruck war warm. Er wirkte so lieb und sanft, bestimmt ließen sich die Verhörten, vor allem die Frauen, bei ihm hinreißen, mehr zu sagen, als sie eigentlich wollten.
    «Gehen wir in mein Büro, da ist es am bequemsten», schlug Koivu vor. Er öffnete die Tür zum Treppenhaus mit einer Ma-gnetkarte und führte mich zum Aufzug. In der engen Aufzugs-kabine roch sein Meeresduft-Rasierwasser fast aufdringlich stark, es war irgendwie zu intim. Wir gingen über den unfreundlich weißen Flur des Gewaltdezernats in ein Büro, das Koivu mit einem gewissen Wachtmeister Puupponen teilte.
    Anu Wang saß am Computer, sie stand auf, um mir die Hand zu geben, und tippte dann meine Personaldaten ein. Bis zu meinem sechsunddreißigsten Geburtstag waren es nur noch zwei Monate, ein deprimierender Gedanke.
    «Sie sind vorgeladen zur Anhörung als Zeugin im Todesfall Heikki Antero Jokinen. Wie gut kannten Sie den Verstorbenen?», begann Koivu.
    «Ich habe ihn ein paar Mal flüchtig gesehen. Ich weiß nicht viel von ihm.»
    «Was ist Ihr Beruf, und wo arbeiten Sie?»
    «Ich bin Sozialtherapeutin im Frauenhaus Schutzhafen.»
    «War die Mutter von Heikki Jokinen, Anja Kyllikki Jokinen, Ihre Klientin?»
    «Ich bin eigentlich an die Schweigepflicht gebunden.»
    «Anja Kyllikki Jokinen hat bei der Vernehmung angegeben, dass sie mehrfach im Frauenhaus Schutzhafen Zuflucht vor ihrem Sohn Heikki gesucht hat, der durch Drohungen und Gewaltanwendung Geld von ihr erpresste», hielt mir Koivu entgegen.
    «Wenn Anja das gesagt hat, sehe ich keinen Grund, etwas anderes zu behaupten», antwortete ich unsicher. Koivu fragte mich über Anjas Aufenthalte im Schutzhafen aus, und ich brachte es nicht fertig zu schweigen. Ich schilderte Heikkis Taten in allen furchtbaren Einzelheiten. Obwohl ich ruhig sprach

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