Lehtolainen, Leena
ich eine Schmerztablette gebraucht. Da wurde mir klar, dass mir der Kopf gerade deshalb wehtat, weil derjenige, der die Medikamente verteilt hat, nicht mehr da ist. Zu sagen, dass man eine Tablette braucht, ist leichter, als zuzugeben, dass man den Mann vermisst, mit dem man mehr als zehn Jahre zusammengearbeitet hat.« Taskinen erzählte noch einige Anekdoten über Palo, die einen gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen brachten. Ich hörte zu, dachte an Palo und stellte zugleich verwundert fest, wie sehr ich Taskinen mochte. Wären die Umstände andere gewesen, hätte ich mich glatt in ihn verlieben können.
Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, trat Taskinen zu Palos Angehörigen und schüttelte ihnen die Hand.
»Ist der blonde junge Mann auch ein Sohn von Palo?«, fragte ich Pertsa, der während Taskinens Rede auffallend still gewesen war.
»Warte mal … Toni heißt mit Nachnamen zwar Palo, aber soweit ich mich erinnere, stammt er aus der ersten Ehe von Hannele, also Palos zweiter Frau. Das heißt, ich weiß nicht, ob Hannele damals verheiratet war.«
Im selben Moment schnarrte Pertsas Handy, zum Glück fiel das Geräusch im allgemeinen Stimmengewirr nicht auf.
Pertsa meldete sich, dann reichte er mir das Gerät. Ich ging zum Reden auf den Balkon, auf dem bereits einige Raucher standen.
Die Gynäkologin, die Elina untersucht hatte, war ganz aufgeregt.
»Die Frau hat mit Sicherheit mindestens einmal entbunden, allerdings schon vor längerer Zeit.«
»Wie lange ist das her?« Schneeregen schlug mir ins Gesicht wie ein nasses Handtuch, meine Brüste waren eiskalt.
»Eine genaue Angabe ist kaum möglich, aber ich würde sagen, etwa zwanzig Jahre. In ihren Akten ist nichts vermerkt, deshalb wollte ich noch einen Kollegen konsultieren, bevor ich Sie anrufe.«
»Und die Narben am Muttermund?«
»Hier steht etwas von einer gynäkologischen Operation unter obskuren Umständen, irgendwann Mitte der Siebziger. Wahrscheinlich gehen die Narben darauf zurück. Bei oberflächlichem Hinschauen verdecken sie gewissermaßen die Spuren der Schwangerschaft, aber ein guter Arzt hätte bemerken müssen, dass …«
»Vielleicht war es eine Art öffentliches Geheimnis. Vielen Dank. Ihre Aussage wird möglicherweise vor Gericht benötigt.«
Ich schaltete das Telefon aus und starrte durch den Schneeregen auf das kantige Kulturzentrum, das hinter dem Wasserbecken aufragte. Elina hatte also tatsächlich ein Kind zur Welt gebracht. Was hatte Pertsa gerade über Palos Sohn gesagt, wovon hatte Antti in der Sauna in Inkoo gesprochen …
Plötzlich begann sich das Bild zu klären, allerdings hätte ich mir einige Fotos aus dem Album in Rosberga gern noch einmal angesehen. Wenn ich mich ganz scharf konzentrierte, konnte ich sie aus dem Gedächtnis abrufen, als lägen sie vor mir. Die müde Gymnasiastin Elina mit Aira am Palmenstrand. Eine Schar junger Ingenieure, die Elina bewundernd anschauten.
Natürlich, so war es! Und Aira hatte es gewusst, alle diese Jahre hindurch. Deshalb hatte sie die Person gedeckt, die Elina getötet hatte.
Vielleicht war Aira doch in höchster Gefahr …
Ich kehrte in den Restaurantsaal zurück, zwang mich, langsam zu gehen, obwohl ich am liebsten gerannt wäre. Taskinen stand mit Pertsa am kalten Büfett. Ich zügelte meine Ungeduld und lobte seine Rede, bevor ich sagte, ich müsse sofort in die Klinik.
»Ich weiß jetzt, wer Elina Rosberg getötet hat und warum«, erklärte ich. »Ich muss noch ein paar Telefonate führen und mit ihrer Tante sprechen, dann habe ich genügend Beweise für eine Verhaftung.«
»Wann soll sie stattfinden?« Taskinen war weitaus gleichmü-
tiger als ich, für ihn war der Fall Rosberga nur einer unter vielen.
»Am besten noch heute. Ich brauche jemanden, der mich begleitet.«
»Geht in Ordnung«, sagten Pertsa und Taskinen gleichzeitig, und ich verzichtete darauf zu wählen, sondern verabredete mich mit beiden um halb fünf in der Dienststelle. Dann nahm ich ein Stück Fleischpirogge und eine mit Ei und Reis gefüllte Pastete als Wegzehrung mit und ging zum nächsten Taxistand. Ich hatte Pertsas Handy mitgenommen und rief während der Fahrt in der Hauptgeschäftsstelle der Firma Sahapuu an, wo man mir nach einigen verwunderten Rückfragen meine Vermutung bestätigte.
Auch bei der Auslandsauskunft konnte ich noch anrufen, bevor das Taxi vor dem Haupteingang der Klinik hielt.
Ich musste mich durch das halbe Krankenhaus durchfragen, bevor ich Aira fand. Sie saß in
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