Lehtolainen, Leena
wie der eines Marathonläufers. Tatsächlich lief er mit fast fünfzig die zehn Kilometer immer noch in weniger als vierzig Minuten. Die einzige Abweichung von der schmalen Linie war der fast zentimeterbreite, abgewetzte Ehering.
Wegen seines Aussehens hatte ich Taskinen anfangs für einen Pedanten gehalten, doch er hatte sich als angenehmer Vorgesetzter entpuppt. Er erledigte seine Aufgaben gewissenhaft und forderte denselben Einsatz auch von seinen Mitarbeitern, aber er sagte immer klipp und klar, was er wollte und ob er zufrieden war oder nicht. Gelegentlich regte er sich darüber auf, dass ich die Dienstvorschriften allzu großzügig auslegte, doch davon abgesehen hatten wir keine Probleme miteinander. Nach den Erfahrungen mit meinen bisherigen Chefs, einem versoffenen Helsinkier Kriminalbeamten und einem geheimniskrämerischen Juristen, war die Zusammenarbeit mit Taskinen eine wahre Freude. Über sein Privatleben wusste ich wenig, seine Frau arbeitete, wenn ich mich nicht täuschte, bei der Stadt Espoo als Koordinatorin der Kindertagespflege, die gemeinsame Tochter war im Teenageralter und in ihrer Altersklasse finnische Meisterin im Eiskunstlauf. Abgesehen von Pertti Ström kam ich auch mit meinen übrigen Kollegen ganz gut zurecht, obwohl ich nach wie vor die einzige Frau in unserem Dezernat war. Zum Glück arbeiteten in den anderen Abteilungen und bei der Schupo ein paar echt gute Frauen, mit denen ich einmal wöchentlich Volleyball spielte. Ich fühlte mich nicht mehr als Fremdkörper, wie damals auf der Polizeischule, sondern nur als Vertreterin einer Minderheit.
Taskinen und ich arbeiteten bis weit in den Nachmittag hinein an unserem Ermittlungsbericht über den Geldwäschefall. Die Sonne ging bereits unter, als ich meinen Fiat nach Nuuksio steuerte. Nach dem Umzug hatten wir uns dazu durchgerungen, einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Im Sommer konnte ich zwar bequem zur Arbeit radeln oder, wenn ich es nicht eilig hatte, sogar zu Fuß gehen, und Antti machte es nichts aus, mit dem Bus zur Uni zu fahren, obwohl die Haltestelle einen Kilometer entfernt war, der Bus nur einmal in der Stunde fuhr und er unterwegs einmal umsteigen musste. Aber für Einkäufe und dergleichen war das alles zu umständlich, und so hatten wir für zehntausend Finnmark einen alten schwarzen Fiat erstanden.
Der kleine Italiener war ganz offensichtlich nicht für Glatteis gebaut; das Heck schlug immer wieder aus, als ich über die kurvenreiche, hügelige Nuuksiontie auf Rosberga zufuhr.
Das Tor war wieder fest verschlossen und schwang diesmal nicht von selbst auf. Aira kam über den Hof und öffnete es. Die letzten Sonnenstrahlen fielen schräg auf die Hauswand und ließen den zartrosa Putz glutrot aufleuchten. Milla stand rauchend vor dem Haus. In ihren schwarzen Kleidern erinnerte sie eher an die böse Fee als an Dornröschen.
»Guck mal an, die Kriminalhauptmeisterin. Suchste Elinas Leiche?«
Aira fuhr bei Millas Worten zusammen – ich ebenfalls, aber ich brachte es trotzdem über mich, Milla ins Gesicht zu sehen.
Unter der gewollt spöttischen Miene glaubte ich echte Besorgnis zu erkennen.
»Hoffentlich nicht«, gab ich zurück und ging an ihr vorbei in die Eingangshalle. Von irgendwoher war gedämpftes Klavier-spiel zu hören, jemand versuchte sich an einem Stück von Satie, das auch Antti manchmal übte.
»Schau dir bitte Elinas Zimmer an, dann verstehst du vielleicht, weshalb ich mir Sorgen mache.« Aira führte mich nach links, an der Küchentür vorbei. »Wir haben das Gutshaus aufgeteilt, die rechte Hälfte der unteren Etage enthält die öffentlichen Räume, Speisesaal, Auditorium und Bibliothek. Die Küche ist hier in der Mitte, neben der Treppe. In der oberen Etage haben wir Gästezimmer für die Kursteilnehmerinnen.«
»Wie viele Gäste könnt ihr unterbringen?«
»Etwa zwanzig, wir haben oben acht Schlafzimmer. Unsere Räume sind hier.« Aira öffnete eine schmale, blau gestrichene Tür. »Das ist mein Zimmer.«
Offensichtlich sollte ich nicht eintreten, sondern nur einen Blick in das Zimmer werfen. Es schien sich um die ehemalige Dienstbotenkammer zu handeln, denn die zweite Tür führte, wenn mich mein Orientierungssinn nicht trügte, direkt in die Küche. Der Raum war spärlich und konventionell möbliert: Bett, Schreibtisch, kleines Sofa, an der gegenüberliegenden Wand ein Bücherregal mit einem kleinen Fernseher. Über dem Bett hing ein Kunstdruck von einem Schutzengel, der zwei kleine Kinder, Junge und
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