Lehtolainen, Leena
über diese Frage so verblüfft, dass sie ihre Tränen herunterschluckte.
»Ich hatte gesündigt. Die Schläge waren eine gerechte Strafe.«
»Sind Sie etwa Muslimin, oder was?« Unter Pertsas Gebrüll zog sich Johanna auf ihrem Stuhl zurück, so weit es nur ging, und senkte den Blick.
»Frau Säntti gehört zu den Laestadianern. Ihr Mann ist Prediger.« Ich hoffte, Pertsa würde aus meinen Worten den Befehl heraushören, die Schnauze zu halten. Und dann ging mir plötzlich auf, dass ich mich genauso verhielt wie Elina und Aira, indem ich für Johanna sprach. Ich ärgerte mich darüber. Johanna sollte lernen zu kämpfen, ich wollte sie nicht zum Schweigen bringen.
»Nach der Misshandlung bist du dann nach Rosberga gefahren?«
»Leevi hat mich aus dem Haus geworfen. Wenigstens hat er mir Geld für die Bahnfahrt gegeben. Was ich mir vom Haushaltsgeld abgespart hatte, war für den Klinikaufenthalt draufgegangen.«
Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Vom Haushaltsgeld abgezwackt? Für ihre neun Kinder musste Johanna doch mehrere tausend Finnmark Kindergeld bekommen, wo ging das denn hin? Etwa auf Leevi Sänttis Konto?
»Elina hat mich mit dem Wagen vom Bahnhof abgeholt. Sie hat gesagt, es sei alles nicht so schlimm, wir würden gemeinsam dafür sorgen, dass Leevi die Kinder herausgibt. Und Elina hätte es bestimmt geschafft, sie kannte die richtigen Leute. Das war wohl auch der Grund, weshalb Leevi sie umgebracht hat.«
»Was?!« Ich weiß nicht, wer lauter brüllte, Pertsa oder ich.
»Leevi hat am Telefon zu Elina gesagt, Gott würde sie strafen, weil sie mich zum Kindsmord angestiftet hat und jetzt auch noch versucht, die Kinder ihrem Vater wegzunehmen. Und Leevi hält sich für Gottes Werkzeug. Er hat Elina getötet. Ich bin mir ganz sicher.«
Fünf
Als Johanna schließlich gegangen war, sahen wir uns verblüfft an. Johanna hatte immer wieder versichert, kein anderer als Leevi Säntti habe Elina Rosberg getötet. Sie hatte sogar behauptet, Elina sei am Abend ihres Verschwindens nicht mit Joona Kirstilä, sondern mit Leevi spazieren gegangen. Konkrete Beweise konnte sie allerdings nicht vorlegen, ihr Verdacht schien eher auf Wunschdenken zu beruhen. Wenn Leevi Säntti als Mörder verhaftet wurde, bekam Johanna mit Sicherheit die Kinder zugesprochen.
Die Kinder … In der Überraschung über den Brief hatte ich ganz vergessen, Aira Rosberg zu fragen, ob Elina jemals schwanger gewesen war oder sich einem gynäkologischen Eingriff unterzogen hatte, der aus irgendeinem Grund nicht in ihrer Patientenakte vermerkt war. Das würde ich später nachho-len müssen.
»Gehen wir essen«, sagte Pertsa schließlich. Ich sah auf die Uhr. Fünf vor eins.
»Keine Zeit. Um eins kommt die Marttila.«
»Dann soll sie verdammt nochmal warten! Dir knurrt doch auch schon der Magen, dass man es bis in den Flur hört!«
Ich wollte gerade nachgeben, als das Telefon klingelte. Es war Haikala von der Streife, die ich in die Helsinginkatu geschickt hatte. Milla Marttila war nicht in ihrer Wohnung, jedenfalls ging sie weder an die Tür noch ans Telefon.
»Was sollen wir jetzt machen?« Haikala klang verärgert, er hielt die Abholerei für sinnlos, wenn es nicht einmal um eine Verhaftung ging.
»Gibt es da einen Hausmeister?«
»An der Wand hängt der Zettel von einem Wartungsdienst.
Aber wir haben doch keinen Durchsuchungsbefehl.«
»Stimmt, den haben wir nicht. Aber … wartet noch eine Weile. Hatten wir nicht verabredet, dass ihr die Marttila um zwanzig vor eins abholt? Vielleicht ist sie nur kurz aus dem Haus gegangen.«
Das leere Gefühl in meinem Bauch kam plötzlich nicht mehr vom Hunger. Zuerst war Elina verschwunden, jetzt Milla. Oder war sie geflohen? Vielleicht hatte Milla Elina getötet und durch den Wald geschleift, bevor sie in die Stadt gefahren war. Und jetzt hatte sie sich aus dem Staub gemacht.
Oder sich etwas angetan.
»Ich warte jedenfalls nicht«, knurrte Pertsa. »Wenn die dumme Gans abgehauen ist, so what? Oder ist sie deine Hauptverdächtige?«
»Nein. Bisher jedenfalls nicht. Eher eine Zeugin für die Aktivitäten des Freundes.«
»Dann schnapp dir den Freund. Komm schon, wir gehen essen. Kannst ja deinen Piepser mitnehmen.«
»Nein, ich fahre lieber in die Stadt.« Pertsa zuckte mit den Schultern und ging. Ich steckte das Handy ein, holte mein Auto und fuhr als Erstes nach Tapiola zur Apotheke. Ich hatte das Gefühl, von allen angestarrt zu werden, als ich unter den Schwangerschaftstests im
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