Lehtolainen, Leena
Pertsa ihr gebracht hatte, mit hastigen Zügen aus, ihre Hände zitterten. Ich bat Pertsa, Johanna zu holen. Auf dem Gang sprachen die beiden Frauen kurz über die Rückfahrt nach Rosberga. Ich schaute auf die Uhr. Beinahe zwölf, und um ein Uhr sollte Milla kommen. Bestimmt hatte ich keine Zeit, zwischendurch etwas zu essen, von einem Abstecher in die Apotheke ganz zu schweigen. Verdammter Mist!
Johanna hatte Mantel und Kopftuch abgelegt. Das graue Wollkleid, das darunter zum Vorschein kam, war so altmodisch, dass es in einigen Jahren sicher wieder hochmodern sein würde.
Aus dem diesmal weniger straff gekämmten Dutt hatten sich einige Locken gelöst. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Naturlocken durch Schwangerschaft und Stillen glatt werden, aber Johannas Krauskopf hatten selbst neun Schwangerschaften nichts anhaben können.
Ich begann wieder mit den Personalien. Als ich das Geburtsda-tum hörte, musste ich schlucken: Johanna war tatsächlich nur anderthalb Jahre älter als ich.
»Du warst achtzehn, als dein erstes Kind zur Welt kam?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.
»Gerade neunzehn geworden. Leevi und ich haben zwei Wochen nach meinem Abitur geheiratet. Im März des nächsten Jahres wurde dann schon Johannes geboren.«
»Hast du in letzter Zeit Kontakt zu deinen Kindern gehabt?«
Für einen kurzen Moment leuchtete in Johannas Augen eine Freude auf, die alle Furchen aus ihrem Gesicht zauberte.
»Anna, meine älteste Tochter, hat mich gestern in Rosberga angerufen. Sie war weggelaufen, um von der Zelle im Dorf aus telefonieren zu können. Sie sagt, alle Kinder vermissen mich, außer Johannes natürlich, der Junge hört nur auf seinen Vater
…« Ihr Gesicht fiel wieder zusammen, wirkte vorzeitig gealtert und schmerzvoll, doch ihre Stimme blieb fest und warm.
»Anna ist ein gutes Mädchen. Erst dreizehn, aber schon sehr selbständig. Das arme Ding hat mir im Haushalt helfen und sich um die kleinen Geschwister kümmern müssen, und jetzt lastet noch viel mehr auf ihr, denn Leevis Mutter wird nicht mit allem fertig.«
Pertsa scharrte nervös mit den Füßen, seiner Meinung nach war das alles natürlich unnötiges Geschwätz. Aber mir lag daran, dass Johanna sich lockerte, bevor wir über Elina sprachen. Außerdem interessierte mich ihre Lebensgeschichte. Es schien mir unfassbar, dass ein Mann seelenruhig sagen konnte, es sei Gottes Wille, wenn seine Frau, die Mutter seiner neun Kinder, bei der Geburt des zehnten stirbt. So etwas mochte in fernen Ländern vorkommen, wo die Frauen verschleiert gingen und nichts besaßen, nicht einmal ihren eigenen Körper. Aber doch nicht hier in Finnland, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts.
»Warum bist du ausgerechnet nach Rosberga gekommen?
Kanntest du Elina von früher?«
»Wo hätte ich jemanden wie sie kennen lernen sollen? Ich habe Maria hier in Helsinki entbunden, in der Universitätsfrau-enklinik, weil auch das bereits eine Risikoschwangerschaft war.
Da lag eine Frauenzeitschrift aus, in der Elina interviewt wurde.
Und einmal habe ich abends ferngesehen.« Johanna errötete, als beichte sie eine Missetat, und mir fiel ein, dass die fanatischsten Laestadianer sogar Fernsehen als Sünde betrachten. »Da kam irgendeine Diskussion, an der Elina teilnahm. Sie war so … so ruhig und Vertrauen erweckend, und sie sagte, jede Frau hätte das Recht, selbst über ihren Körper zu bestimmen …«
Pertsa schnaubte. Gleich würde er mich auffordern, endlich zur Sache zu kommen.
»Eigentlich war es Elina, die mir den Mut gab, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Ich hatte mir ihre Telefonnummer besorgt und sie um Rat gebeten. Sie sagte, ich wäre in Rosberga willkommen, wenn ich mich ausruhen wollte nach dem Eingriff.« Das Wort Abtreibung brachte sie offenbar nicht über die Lippen. Pertsa räusperte sich ungeduldig.
»Bist du unmittelbar nach der Abtreibung nach Rosberga gegangen?« Ich schnitt Pertsa eine Grimasse. Er öffnete den Mund, machte ihn aber gleich wieder zu, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
»Nein. Ich bin nach Hause gefahren. Aber Leevi wusste, was ich getan hatte, und hat mich geschlagen. Er hat mich ziemlich übel zugerichtet. Und den Kindern hat er gesagt, ihre Mutter sei eine Mörderin.« Während Johanna mit den Tränen kämpfte, spürte ich, wie die Wut in mir hochkam. Ich knirschte mit den Zähnen. Es war jedoch Pertsa, der als Erster den Mund aufmachte:
»Sie haben die Misshandlung doch wohl zur Anzeige gebracht?«
Johanna war
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