Lehtolainen, Leena
kann auch andere Gründe haben, zum Beispiel eine gynäkologische Operation. Wenn du meinst, es wäre wichtig, konsultiere ich noch einen Facharzt.«
»Tu das, obwohl ich nicht weiß, ob es wichtig ist. Vielleicht handelte es sich um eine Fehlgeburt.«
»Die müsste in den Papieren auch vermerkt sein.« Ich hätte gern mit Kervinen weiterspekuliert, doch Aira und Johanna warteten auf mich. Im harten, unwirklichen Licht der Klinikflure verflüchtigte sich der Gedanke, der sich bei mir einnisten wollte.
Elina konnte unmöglich ein Kind haben. Das wäre im Personenstandsregister zu sehen. Warum war Kervinen eigentlich so ausweichend, als schämte er sich, über Schwangerschaftsdinge zu reden? Die Ärzte, die ich kannte, sprachen über das Thema entweder betont sachlich oder übertrieben flapsig. Kervinen war der Erste, der herumdruckste.
Aira saß mit leerem Blick im Wartezimmer. Johanna dagegen war nirgends zu sehen. Ich setzte mich neben Aira, suchte nach Anzeichen eines Schocks, fand aber keine.
»Ist Johanna auf der Toilette?«
»Johanna.« Aira sprach den Namen nach, als bedeute er ihr nichts. »Ach ja, Johanna. Sie war nicht hier, als ich kam.«
Vielleicht war Aira doch nicht so stark, wie sie sich gab, sie schien jetzt völlig durcheinander zu sein. Und wo steckte Johanna? Ich wollte zurück aufs Revier, mit den Vernehmungen beginnen, den minutiös verplanten Tagesablauf ins Rollen bringen. Doch ich konnte Johanna nicht einfach hier lassen, als Ortsfremde hatte sie wahrscheinlich keine Ahnung, wie sie zum Polizeigebäude kam.
»Warte hier, ich suche sie.« Auf der Toilette rief ich vergeblich nach ihr, auf der nächsten ebenfalls. Irgendwo gab es eine Cafeteria, ich glaubte mich zu erinnern, wo, musste mir aber nach fünf Minuten eingestehen, dass ich mich hoffnungslos verlaufen hatte. Ich fragte eine belustigt dreinschauende Schwesternhelferin nach dem Weg und war froh, keine Uniform zu tragen. Eine Polizistin, die sich in der Klinik verirrt, ist die reinste Witzfigur. Sowieso hasste ich es, um Rat bitten zu müssen, denn ich wollte souverän sein. Als ich schließlich in den richtigen Gang einbog, sah ich Johanna vor der Wand stehen und ein Bild anstarren. Ich trat leise zu ihr, doch sie schien meine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. Das naive Kunstwerk zeigte eine glückliche Kinderschar, die auf einer blühenden Wiese herumtollte. Johanna strömten die Tränen über das Gesicht, der Kragen ihres grauen Mantels war völlig durchnässt. Auch als ich ihr die Hand auf die Schulter legte, reagierte sie nicht. Erst meine Stimme riss sie aus ihrer Versen-kung.
»Zeit zu gehen, Johanna! Ein hübsches Bild.«
Ein hübsches Bild. Das klang nun wirklich total schwachsin-nig. Wann würde ich endlich den richtigen Umgang mit trauernden Menschen lernen? Warum brachte ich es nicht fertig, unbefangen zu sagen, wie Leid sie mir taten, warum konnte ich keinen Trost spenden? Mit harten Gewohnheitsverbrechern und aalglatten Wirtschaftsbetrügern konnte ich umgehen, meistens brachte ich sie zum Sprechen. Trauer dagegen machte mich stumm und beklommen, ließ mich alle vernünftigen Worte vergessen, zwang mich davonzulaufen, statt näher zu kommen.
Zum Glück folgte Johanna mir brav durch die Gänge. Sie war ganz offensichtlich daran gewöhnt, Befehlen zu gehorchen. Aira war glücklicherweise auf ihrem Platz geblieben. Wir marschier-ten durch den Regen zum Wagen und fuhren ebenso schweigsam wie auf dem Hinweg zur Dienststelle zurück.
Dort angelangt, fragte ich Johanna, ob sie zuerst zur Vernehmung kommen wolle, weil sie im Gerichtsmedizinischen Institut so lange hatte warten müssen.
»Es macht mir nichts aus zu warten«, sagte sie leise, dann fügte sie lauter, fast schneidend, hinzu: »Es ist schön, einmal genug Zeit zu haben, nur dazusitzen und nichts zu tun.«
Obwohl die Espooer Polizei in einem Neubau untergebracht ist, wirken die Vernehmungsräume mit ihren sterilen weißen Wänden unglaublich bedrückend. Zum Glück waren wenigstens die Sitzgelegenheiten bequem. Ich justierte die Mikrophone, während wir auf Pertsa warteten, und fragte Aira, ob sie Kaffee wolle. Mir knurrte bereits der Magen, und mein Hunger wurde erst recht spürbar, als ich Pertsa beim Eintreten das letzte Stück Fleischpastete in den Mund stopfen sah. Aira bat jedoch nur um ein Glas Wasser. Ich sprach das Datum auf Band und bat sie, ihre Personalien anzugeben.
»Aira Elina Rosberg, geboren am zweiten Februar
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