Lehtolainen, Leena
neunzehn-hundertfünfundzwanzig. Von Beruf Krankenschwester, jetzt pensioniert.« Ihre offiziellen Angaben auf Band zu sprechen schien ihr geradezu Vergnügen zu bereiten.
»Elina ist also nach dir benannt worden?«
»Der Name wurde in der Familie meiner Mutter schon immer vererbt, und ich bin … war Elinas Patentante.« Endlich hatte sich ein kleiner Bruch in Airas gleichmäßige Stimme geschlichen.
»Es dauert seine Zeit, bis man lernt, in der Vergangenheit zu sprechen«, sagte sie.
»Weißt du, an wen Elinas Vermögen fällt? Hat sie ein Testament gemacht?«
»Soweit ich weiß, ja. Das lässt sich bei unserem Hausjuristen nachprüfen, Juha Saario von der Kanzlei Saario und Ståhlberg.
Steht im Telefonbuch.« Ich hatte den Eindruck, dass Aira gar nicht darüber nachdachte, was sie sagte, sondern in Gedanken weit, weit weg war.
Ich notierte mir den Namen der Anwaltskanzlei und begann, die Ereignisse des zweiten Weihnachtstages noch einmal aufzurollen, zu denen Aira jedoch nichts Neues beizutragen hatte. Nachdem wir eine halbe Stunde miteinander gesprochen hatten, erwachte sie wie aus einer Erstarrung und unterbrach mich. Sie öffnete ihre Handtasche.
»Hör mir gut zu, Maria. Als Elina verschwand, habe ich keinerlei Nachricht von ihr entdeckt. Aber heute früh fand ich dies hier in meiner Handtasche.« Sie zog einen weißen Briefum-schlag hervor, auf den mit blauem Kugelschreiber »Aira«
geschrieben war. Ich beugte mich vor, um den Umschlag an mich zu nehmen, aber Aira hielt ihn fest und fuhr fort:
»Ich benutze diese Handtasche nur, wenn ich aus dem Haus gehe. Das habe ich seit Weihnachten nicht mehr getan, einkaufen wollte ich erst heute wieder. Deshalb hat es so lange gedauert, bis ich den Umschlag fand. Sieh ihn dir an!«
Erst jetzt reichte sie mir das Kuvert. Darin steckte ein hand-schriftlicher Zettel mit einfachen Worten: »Liebe Aira. Nach allem, was ich gehört habe, kann ich so nicht mehr weiterma-chen. Es tut mir Leid, dir Unannehmlichkeiten zu bereiten.
Elina.«
Es klang wie ein Abschiedsbrief.
Ich las den Zettel noch einmal. »Nach allem, was ich gehört habe.« Was hatte sie gehört, was konnte das für eine Information sein, die eine wie Elina Rosberg in den Selbstmord trieb? Ich musste an Joona Kirstilä denken, der Elina nach Airas wie nach Millas Aussage am Abend des zweiten Weihnachtstages getroffen hatte. War es denkbar, dass Elina sich umgebracht hatte, weil Joona Kirstilä mit ihr Schluss machen wollte? Das konnte ich mir kaum vorstellen.
»Was hat dieser Brief deiner Meinung nach zu bedeuten? Ist es der Abschiedsbrief einer Selbstmörderin? Und was hat Elina gehört? Sie bezieht sich darauf, als wäre sie sicher, dass du von der Sache weißt.«
Aira quälte sich mit der Antwort.
»Offenbar hat Joona …«
»Wollte Kirstilä sie verlassen?« Als Pertsa, dessen Anwesenheit ich völlig vergessen hatte, sich warnend räusperte, merkte ich, dass ich auf dem besten Wege war, Aira etwas in den Mund zu legen. Sie nickte verschämt.
»Hast du Elina denn noch einmal gesehen, als sie von ihrem Spaziergang zurückkam?«
»Nein, das habe ich doch schon gesagt! Aber dass die Beziehung zu Ende ging, davon war schon vor Weihnachten die Rede gewesen.«
»Aber das ist doch ein ziemlich eindeutiger Grund für Depressionen! Warum hast du das nicht von Anfang an gesagt?«
»Ich wollte Joona nicht belasten.« Airas Stimme klang hohl und traurig, dann kamen die Tränen, wie Wasser aus einem hastig aufgedrehten Hahn. Und ich saß hilflos da und schaute sie an. Auch Pertsa rührte sich nicht, er starrte auf seine Schuhspitzen. Erst nach einigen Minuten kam ich auf die Idee, Aira zu fragen, ob sie etwas wolle, ein Taschentuch vielleicht oder ein Glas Wasser. Sie schüttelte den Kopf und holte ihr eigenes Taschentuch aus der Handtasche.
»Es tut mir Leid, es tut mir so Leid«, sprach sie mechanisch vor sich hin und rieb sich die Augen. Ich brummte etwas Tröstendes, Pertsa stand polternd auf und sagte, er hole Wasser.
Jetzt endlich hielt ich das Tonband an. Ich bemühte mich, nicht hinzusehen, während Aira um ihre Selbstbeherrschung kämpfte.
Die Vernehmung wollte sie allerdings nicht mehr fortsetzen, wenn es nicht unbedingt notwendig wäre.
»Ich kann Johanna später nach Rosberga bringen lassen, sodass du gleich nach Hause fahren kannst«, bot ich ihr an.
»Ich mache lieber einen kleinen Spaziergang, in diesem Zustand möchte ich mich nicht ans Steuer setzen.« Aira trank das Glas, das
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