Lehtolainen, Leena
Milla stand auf, holte schwarze Stiefel mit Plateausohlen unter dem Bett hervor und zog sie an. »Ätzend, das Ganze, jetzt hab ich auch noch die Polizei am Hals. Please, ruf mich nie mehr vor zwei Uhr an. Ich brauch meinen Schlaf, sonst kann ich nicht arbeiten.« Sie stakste an mir vorbei und trieb die Jungs mit trügerisch sanfter Stimme zum Aufbruch. Im Treppenhaus roch es nach Bier. Ich beschloss, auf dem Weg zu Kirstilä bei McDonald’s vorbeizufahren, wenn ich nicht sofort etwas zu essen bekam, drohte mein Gehirn seine Tätigkeit einzustellen.
In Rekordzeit schlang ich einen Double Cheeseburger und Pommes herunter. Erst beim letzten Bissen fiel mir ein, dass ich in nächster Zeit gesünder essen musste, wenn ich schwanger war. Aber war ich überhaupt schwanger? Ich sah auf die Uhr.
Das Testergebnis sollte schon nach einer Minute sichtbar werden, vielleicht konnte ich bei McDonald’s auf dem Klo …
Der Gedanke war irgendwie lustig, aber ich zwang mich, mein Privatleben vorläufig zu vertagen und mich auf Elinas Tod und Joona Kirstilä zu konzentrieren.
Der Fall hatte es auf die Titelseite der beiden Boulevardblätter geschafft. Auch der Inhalt der Reportagen war identisch: Bekannte feministische Psychologin unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Die Polizei ermittelt. Das eine Blatt machte widerliche Anspielungen auf die spärliche Bekleidung der Leiche, als hätte man Elina bei einer Orgie erwischt.
Kirstilä wartete vor der Haustür auf mich. In seinem schwarzen Mantel wirkte er klein und zerbrechlich. Der rote Schal, den Milla erwähnt hatte, flatterte im Wind. Sein Gesicht war noch bleicher als sonst, und beim Einsteigen mied er meinen Blick.
Wir waren schon auf der Autobahn, als er zum ersten Mal den Mund aufmachte.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Elina Rosberg war Ihre Freundin. Bei ungeklärten Todesfällen werden in der Regel alle engeren Angehörigen vernommen.«
»Aira sagte, Elina sei erfroren. Ich begreife nicht, wie das passiert sein kann.«
Die Qual in seiner Stimme klang echt, doch ich blieb kühl. Ich hatte immer schon eine Schwäche für schöne Männer, und Kirstilä fiel zweifellos in diese Kategorie, auch wenn er für meinen Geschmack etwas zu klein und zierlich war. Man hatte den Eindruck, ein derbes Wort könnte ihn umwerfen. Seine Gedichte standen im Widerspruch zu seinem grazilen Aussehen, und das war es wohl vor allem, was mich an ihm faszinierte. Sie waren erfüllt von männlicher Sexualität und zugleich von der Romantik des neunzehnten Jahrhunderts angehaucht, als sei Kirstilä ein Byron unserer Zeit.
»Auf die Einzelheiten gehen wir auf dem Revier ein. Aus ermittlungstechnischen Gründen können wir ohnehin noch nicht viel sagen.«
»Aber ich habe Elina doch geliebt!«, rief Kirstilä wie ein Fünfjähriger, der glaubt, mit seiner Widerrede die uneinsichti-gen Eltern zur Räson bringen zu können. Ich gab ihm keine Antwort, versuchte vielmehr, auf die Überholspur auszuscheren, um an einem Lastzug vorbeizukommen, der mit siebzig dahin-kroch. Wenn ich ein Polizeifahrzeug gehabt hätte statt des klapprigen Fiat, wäre das erheblich leichter gewesen. Obendrein schien der Scheibenwaschanlage das Wasser ausgegangen zu sein. Zum Glück kamen wir unbeschadet nach Nihtisilta.
Ich bat die Zentrale, Pertsa in den Vernehmungsraum drei zu rufen, und fragte Kirstilä, ob er einen Kaffee wolle. Er schüttelte kaum merklich den Kopf, wie in seiner eigenen, unzugänglichen Welt versunken. Auf dem Weg zum Vernehmungszimmer schien er durch die Wände hindurchzusehen, als hätte er nicht ganz begriffen, wo er sich befand.
Ich zapfte mir am Automaten einen Becher Kaffee. Pertsa saß bereits wartend im Vernehmungsraum. Neben dem blassen, zierlichen Kirstilä wirkte er doppelt rotnackig und vierschrötig.
Der Dichter zog nicht einmal den Mantel aus, bevor er sich auf den Stuhl fallen ließ, den ich ihm anwies. Er schien zu frieren.
»Darf man hier rauchen?«, fragte er dann. Seine Hand griff automatisch nach der Zigarettenschachtel.
»Wir sind in einer rauchfreien Zone«, sagte ich entschuldigend und wies auf das Schild an der Wand. Die Regel wurde allerdings gelegentlich gebrochen, wenn der vernehmende Beamte allzu sehr unter dem Nikotinentzug litt und der Meinung war, das gemeinsame Rauchopfer würde den Befragten so zutraulich machen, dass er mehr preisgab, als er wollte.
»Ja, natürlich.« Kirstilä vergrub die Hände in den Mantelta-schen und brachte es fertig,
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