Lehtolainen, Leena
Privatpatienten. Das Allerletzte, was sie gebraucht hätte, war ein Mann.«
Kirstilä zuckte merkwürdig mit den Augenbrauen, er wirkte fast wie ein Vogel, und ich begriff erst nach einer Weile, dass er versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ich fragte mich, wie sich Psychiater fühlen mochten, wie zum Beispiel Elina Rosberg reagiert hatte, wenn ein Patient weinend über die schlimmste Zeit seines Lebens sprach. Hatte sie es fertig gebracht, unbewegt und neutral dazusitzen, oder hatten die Gefühle der Patienten sie mitgerissen? Sie war sicher keine Vertreterin der extrem klinischen Richtung gewesen, in der feministisch orientierten Psychiatrie durfte meines Wissens auch die Therapeutin Gefühle zulassen. Aber war das auch einer Polizistin erlaubt? Ich hatte mir angewöhnt, eine Maske aufzusetzen, wenn jemand bei der Vernehmung zu weinen oder zu toben begann. Meistens gelang mir das auch. Zu oft hatte ich Leute vor mir gehabt, die an das weibliche Mitgefühl appellierten, das sie bei mir vermuteten, und sich durch Tränen und ein klägliches Mienenspiel vor heiklen Fragen zu drücken versuchten. Aira Rosberg war mit dieser Taktik erfolgreich gewesen, ihr hatte ich einige Fragen nicht gestellt, weil sie anfing zu weinen.
Bei Kirstilä würde mir das nicht passieren.
»Aber Ihre Beziehung dauerte an. In welcher Richtung hat sie sich in letzter Zeit entwickelt? Kühlte sie allmählich ab, oder haben Sie womöglich an eine Heirat gedacht?«
»Sich entwickelt … Warum hätte sich unsere Beziehung verändern sollen? Wir waren mit dem zufrieden, was wir hatten.«
»Wo haben Sie sich getroffen?«
»Meistens bei mir. Manchmal auch in Nuuksio. Natürlich nicht im Hauptgebäude, sondern in der Hütte. Davon durfte aber niemand wissen.«
Die Zigarettenstummel und das dunkle Haar auf dem Kissen
… Wann hatte Kirstilä das letzte Mal in Nuuksio übernachtet?
Bevor ich ihn fragen konnte, mischte sich Pertsa wieder ein.
»Und es hat Sie gar nicht gestört, dass Elina acht Jahre älter war?«
Bei Pertsas plumper Frage riss Kirstilä die zwinkernden Augen weit auf.
»Eine blödsinnige Bemerkung! Wenn ich acht Jahre älter wäre, würden Sie so etwas nicht fragen. Sie hätte mir diese Frage bestimmt nicht gestellt«, entrüstete sich Kirstilä und nickte zu mir hin. Doch so leicht war Pertsa nicht zum Schweigen zu bringen.
»Sie hatten sich also keine Jüngere ausgeguckt, wegen der Sie Elina loswerden wollten? Sind Sie über ihr Testament informiert? Frau Rosberg hatte ein beträchtliches Vermögen, aber keine Familie. Vielleicht werden Sie im Testament berücksichtigt?«
Pertsas grobklotzige Vernehmungstechnik war das beste Mittel, mich zur Sympathisantin des Zeugen zu machen. Joona Kirstilä war jetzt ganz offensichtlich in Kampfstimmung, mit dem gefühlvollen Wimpernklappern und den gequälten Blicken war es vorbei.
»Junge Frauen und Geld, dem jagt angeblich jeder Mann nach!
Aber mich hat das nicht interessiert. Elina war intelligent und sexy, und sie wollte keine Ganztagsbeziehung, genauso wenig wie ich. Was reden Sie da überhaupt von Loswerden? Sie haben mir ja noch nicht mal gesagt, wie Elina gestorben ist. Hat sie jemand umgebracht?«
»Hatte jemand einen Grund, Elina Rosberg zu töten?«, fragte ich zurück. So überzeugend sich Kirstilä auch anhörte, zwei Dinge wollten mir nicht aus dem Kopf: Millas Aussage, Kirstilä sei Kunde im »Fanny Hill«, und Airas Behauptung, er habe sich von Elina trennen wollen.
»Sie hatte einige ziemlich labile Patienten. Wer weiß, was so jemand sich in den Kopf setzt. Andererseits hat sie provokante Auffassungen vertreten, unter ihren Kollegen gibt es einige, die man praktisch als ihre Feinde bezeichnen könnte. Aber die Schwelle, einen Menschen zu töten, ist hoch … Ich weiß nicht.«
»Und die Schwelle, sich selbst zu töten?« Da Kirstilä meine Frage nicht zu begreifen schien, fügte ich hinzu: »Hätte Elina Rosberg Selbstmord begehen können?«
So vage Airas Bericht über den Fund des möglichen Abschiedsbriefes auch war, ich konnte den Zettel nicht einfach ignorieren. Für die Abschürfungen an Elinas Rücken konnte es eine Erklärung geben, vielleicht hatte jemand die Tote gefunden und unter der Fichte versteckt, aus Angst, verdächtigt zu werden. Kirstiläs Reaktion auf die Selbstmordtheorie war befremdlich: eine halbe Minute nachdenkliches Schweigen, dann ein entschiedenes Nein.
»Der einzige Grund, den ich mir vorstellen könnte, wäre eine Art
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