Lehtolainen, Leena
kannte sie ihn? Dass er Gast im »Fanny Hill« war, hatte sie ja schon gesagt. Mein überstrapazierter Kopf fabrizierte flugs eine neue Theorie, wonach Milla und Joona gemeinsam Elina ermordet hatten. Nur wollte mir kein passendes Motiv dafür einfallen.
»Vergessen wir Kirstilä vorerst mal. Wohin bist du an dem Abend gegangen?«
»Ich hab dir zwar erzählt, dass ich per Autostopp nach Helsinki gefahren bin, aber in Wahrheit konnt ich froh sein, dass mich jemand bis ins Zentrum von Espoo mitgenommen hat. Von da bin ich mit dem Zug weiter. In Helsinki bin ich dann durch ein paar Kneipen gezogen, und im ›Kaarle‹ hab ich einen kennen gelernt … wie hieß der noch gleich? Ich kann mich nicht erinnern, aber ist das überhaupt wichtig?«
Natürlich war es wichtig. Der genaue Todeszeitpunkt ließ sich nicht festlegen, aber wahrscheinlich war Elina am Siebenundzwanzigsten in den frühen Morgenstunden gestorben. Es war immerhin möglich, dass Milla gelogen und ihre Fahrt nach Helsinki erfunden hatte. Ich fragte sie nach dem Autofahrer, der sie mitgenommen hatte und offenbar in der Nachbarschaft von Rosberga wohnte, nach den Kneipen, in denen sie gewesen war, und nach dem Mann, mit dem sie die Nacht verbracht hatte. Sie behauptete, sie könne sich nur an seinen Spitznamen erinnern, Jorkka, und daran, dass er in einem mehrstöckigen Haus bei der U-Bahn-Station Kulosaari wohnte.
»Nehmt sie mit und sucht das Haus«, sagte ich schließlich zu Haikala und seinem endlich wieder aufgetauchten Kollegen.
»Wenn ihr diesen Jorkka findet, stellt ihr fest, ob er Millas Alibi bestätigt, und …«
Das Telefon unterbrach mich. Ström, noch grantiger als ge-wöhnlich, erkundigte sich, wo zum Teufel ich mich jetzt wieder rumtriebe. Mein Hunger verschmolz mit dem Bangen vor dem Schwangerschaftstest zu einer unbändigen Wut, die prompt auf Pertsa niederprasselte. Ich brüllte zurück.
»Hast du nichts Besseres zu tun, als mich bei der Arbeit zu stören? Ich bin unterwegs zu Kirstilä, in ungefähr einer halben Stunde liefere ich ihn ab. Vielleicht wären der Herr so freundlich zu warten, nachdem er sich mir eigenmächtig als Partner aufgedrängt hat!«
»Du hast mir keine Befehle zu erteilen, Kallio, du nicht!«, blaffte Pertsa. Er hatte ja Recht, an sich stand er in der Hierar-chie über mir. Aber innerhalb unserer Einheit waren wir gleichwertig, keiner war der Vorgesetzte des anderen. Mitunter hatte ich das Gefühl, eine klare Befehlsstruktur wäre besser als die gegenwärtige Situation, in der wir beide versuchten, uns als Chef aufzuspielen und das letzte Wort zu haben.
Die jungen Streifenbeamten hörten sich mein Gebrüll verdutzt an. Milla war ins Nebenzimmer gegangen, um sich endlich anzuziehen. Ich füllte ein Glas mit lauwarmem Leitungswasser und gab den Jungs weitere Anweisungen. Sie grinsten sich an wie Halbwüchsige, offenbar fanden sie es irgendwie witzig, Millas nächtlichen Kumpan aufzuspüren. Ich zweifelte nicht daran, dass Milla es genießen würde, die beiden in Verlegenheit zu bringen, hatte aber keine Zeit, die Operation zu überwachen.
Ich musste herausfinden, warum Joona Kirstilä mich belogen hatte.
»Hey, Kallio oder wie du heißt«, rief Milla plötzlich. »Komm mal her!«
Millas Schlafzimmer war ein schmaler, hoher Raum, den das breite Bett mit dem schwarzen Satinüberwurf fast ganz ausfüllte.
Ob sie versuchte, mit schwarzem Satin und rotem Schummer-licht die Atmosphäre eines Pariser Bordells der Jahrhundertwende nachzuahmen? Jedenfalls wirkte der Raum eher wie der Arbeitsplatz eines Freudenmädchens als wie das Schlafzimmer einer normalen jungen Frau, aber vielleicht war auch das nur Bluff.
Milla hatte enge schwarze Leggings und ein sehr offenherzi-ges, korsettartiges Oberteil angezogen, in dem ihre Brüste wie Handbälle aussahen. Die schwarz umrandeten Augen und die dunkelbraunen Lippen ließen sie hart, zugleich aber sehr jung wirken. Sie trug noch eine weitere Schicht Wimperntusche auf, bevor sie sprach.
»Was ich dich fragen wollte … Wie haben Aira und Johanna eigentlich Elinas Tod aufgenommen?«
»Wie man eben auf den Tod eines Menschen reagiert. Man ist erschüttert. Man trauert und weint. Wie nimmst du ihn denn auf?«
»Ich bin ja keine Angehörige.« Millas Stimme klang abweisend, sie band sich ein grellrotes Chiffontuch um den Hals und rümpfte vor ihrem Spiegelbild die Nase.
»Man muss nicht verwandt sein, um zu trauern.«
»Wie kommst du auf die Idee, ich würde trauern?«
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