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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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interviewte, erwartete sie wohl auch ein Mindestmaß an Koope-rationsbereitschaft statt feindseliger Verschlossenheit. Und wie sie selbst gesagt hatte, ging es um den Tod ihrer besten Freundin. Dass er aufgeklärt wurde, musste ihr doch mindestens so wichtig sein wie die jüngsten Sparpläne der Regierung.
    »Mehr kann ich über die Ereignisse nicht berichten. Ich habe nach einer Erklärung für Elinas Verschwinden gesucht, aber mir fällt nichts anderes ein, als dass jemand sie um Hilfe bat. Oder vorgab, ihre Hilfe zu brauchen.« Sie begann ihre Sachen zusammenzupacken. Ich murmelte etwas von späterem Nach-fragen und sagte zu Pihko, ich würde noch in der Stadt bleiben.
    »Du kannst gern den Wagen nehmen«, meinte Pihko. Er wirkte verlegen und wurde sogar rot im Gesicht, als er hinzufüg-te, er hätte an der Universität etwas zu erledigen. Es klang, als ginge es um etwas Verbotenes, aber ich fragte nicht weiter nach, sondern bot Tarja Kivimäki an, sie am Parlament abzusetzen.
    »Was das wohl für einen Eindruck macht, wenn ich im Polizeifahrzeug vorfahre.« Unvermutet ironisch setzte sie hinzu:
    »Allerdings hat die Polizei ja schon ganz andere Leute ins Parlament gebracht.«
    Schon auf der Esplanade saßen wir an einer Ampel fest. Es war mittlerweile so spät, dass ich es mit Sicherheit nicht mehr schaffen würde, pünktlich in der Praxis zu erscheinen. Um meine Nervosität zu kaschieren, stellte ich Tarja Kivimäki eine weitere Frage:
    »Sie haben in Rosberga Weihnachten gefeiert, haben also offenbar keine nahen Verwandten?«
    Nach dem raschen Blick, den sie mir zuwarf, rechnete ich mit einem bissigen Kommentar über meine unsachlichen Fragen, doch zu meiner Überraschung antwortete sie:
    »Nahe Verwandte habe ich mehr als genug. Die hocken alle auf unserem Hof in Tuusniemi oder in der näheren Umgebung, meine Eltern und meine drei Brüder mit ihren Familien. Wie alle Jahre wieder dürften sie an Weihnachten gemeinsam am Tisch gesessen haben, acht Erwachsene und zehn Kinder. Diesmal war wohl Jussi an der Reihe, sich als Weihnachtsmann zu verklei-den. Nur das schwarze Schaf der Familie hat an dem Zirkus nicht teilgenommen.«
    Die Ampel sprang auf Grün. Diesmal schaffte ich es fast bis in die Nähe des Bahnhofs, bevor wir wieder im Stau steckten.
    »Das schwarze Schaf? Wieso das denn?«, fragte ich interessiert, denn wegen meines Berufs und meiner Abneigung gegen alles, was ich für urweiblich hielt, hatte ich mich selbst auch oft als das schwarze Schaf meiner Familie empfunden. »Sie haben doch einen angesehenen Beruf.«
    »Natürlich fanden meine Eltern es anfangs aufregend, dass ich beim Fernsehen arbeite und Minister und andere Prominente treffe. Sie sind wohl enttäuscht, weil ich nicht im Scheinwerfer-licht stehe, man sieht mich nicht einmal auf dem Bildschirm, geschweige denn in den Illustrierten. Aber mein Beruf bedeutet ihnen ohnehin nicht viel, obwohl ich als Erste und Einzige in unserer Familie eine Universitätsausbildung absolviert habe. In ihrer Wertordnung ist eine Frau ohne Mann und Kinder ein Nichts.«
    Ihr Ton war spitz genug, einen Autoreifen zum Platzen zu bringen, doch ihre Gesichtszüge blieben kontrolliert. Ich war so überrascht, dass ich trotz Grün stehen blieb und erst wieder Gas gab, als ein mutiger Fahrer hinter mir sich traute, ein Polizeiauto anzuhupen. Dass ein Mensch wie Tarja Kivimäki von Kindheits-traumata geplagt wurde, hätte ich nicht erwartet.
    »Außerdem ist mir ihr Gerede unerträglich. Wie ist der Lippo-nen als Mensch, ist Ahtisaari wirklich so fett, wie er im Fernsehen aussieht, sie reden exakt im gleichen Stil über die Politiker wie über die Figuren irgendeiner Seifenoper.«
    Das bisschen Sympathie, das ich eben noch für Tarja Kivimäki empfunden hatte, löste sich in nichts auf, obwohl ich durchaus erkannte, dass ihre Arroganz nur eine Defensivhaltung war. Auf dem Rest des Weges zum Parlament hatten wir grüne Welle. Als sie die Tür öffnete, sah Kivimäki mir in die Augen und sagte hastig:
    »Elina hatte Recht, Sie sind ihr in gewisser Weise ähnlich.
    Normalerweise rede ich mit Fremden nicht über mein Privatleben.«
    Die Tür schlug zu, und ich überlegte, ob ihre Bemerkung ehrlich gemeint war oder ob sie mich nur davon abbringen wollte, ihren Ausbruch ernst zu nehmen. Obwohl ich fast zehn Minuten zu spät in der Praxis erschien, musste ich warten, bevor ich aufgerufen wurde. Zerstreut blätterte ich in einer Zeitschrift für gesundes Leben und kämpfte gegen

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