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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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meinst, es besteht die Möglichkeit, dass Halttunen zuerst mir nachstellt und dann erst dir, nicht wahr?«, gab ich schärfer als nötig zurück. Natürlich war es Palos gutes Recht, sich zu fürchten. Die Dümmere von uns beiden war vermutlich ich.
    »Ich hab dir keine Befehle zu geben«, sagte ich etwas freundlicher. »Ich würde mir nur wünschen, dass du mitkommst.
    Halttunen wird uns kaum nach Nuuksio verfolgen. Außerdem haben sie ihn vielleicht längst geschnappt.«
    Palo starrte seine Schuhspitzen an. Seine kurzen braunen Haare wurden allmählich grau, um die Taille begann er Fett anzusetzen. Er hätte seine Brille nicht nur beim Lesen und Autofahren gebraucht, weigerte sich aber aus unerfindlichen Gründen, sie aufzusetzen. Seine graublauen Augen waren gerötet und tränten, weil er sie ständig zusammenkniff, um besser zu sehen, und die Haut um die Augen war dabei faltig geworden. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren arbeitete er bei der Espooer Polizei, er kannte die kleinen Gauner und Berufs-verbrecher der Umgebung, hatte sich ein gut funktionierendes Spitzelsystem aufgebaut und besaß ein hervorragendes Ge-dächtnis. Als Kollege war er zuverlässig, er hatte selten neue Ideen und Vorschläge, aber er erledigte seine Aufgaben und war im Allgemeinen umgänglich.
    »Hat sich dein Kater gelegt?«, fragte er, und es klang wie ein Friedensangebot.
    »Ich bin taufrisch. Und sieh mal.« Ich klopfte theatralisch auf mein Schulterholster. »Ich bin auch gewappnet.«
    Palo meinte, ich solle fahren, wahrscheinlich, damit er den Straßenrand im Auge behalten konnte. Ich packte hohe Stiefel in den Kofferraum, obwohl Skier sicher nützlicher gewesen wären.

    »Wir werden Aira Rosberg noch einmal befragen, aber das Wichtigste ist jetzt, durch den Wald zu gehen, von Rosberga bis zum Fundort, und zu überlegen, wie Elina dorthin geraten sein könnte. Es wird allerdings bald dunkel, aber das ist vielleicht sogar von Vorteil. Elina ist ja bei Dunkelheit verschwunden, da sieht alles anders aus.«
    »Das gibt wieder Überstunden«, seufzte Palo. »Na ja, meine Frau hat Spätschicht und unser Jüngstes ist in der Krippe, macht also nichts.«
    Die Kinder aus Palos beiden ersten Ehen wohnten bei ihren Müttern, soweit sie nicht selbst schon Familie hatten. Ehefrau Nummer drei war fünfzehn Jahre jünger als Palo, darum witzelten die Kollegen, er nehme wohl deshalb ständig Vitamin-tabletten, weil er sonst nicht mit seiner jungen Frau mithalten könne.
    Es dämmerte bereits, der Wald an der Nuuksiontie war schwarzgrün und undurchdringlich. Die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens blendeten mich im entscheidenden Moment, sodass ich beinahe die Abzweigung nach Rosberga verpasst hätte. Anders als bei meinen früheren Besuchen brannte diesmal kein Licht auf dem Hof, doch als ich nach dem Knopf der Gegensprechanlage tastete, schwang das Tor auf. Nur ein Fenster in der unteren Etage war erleuchtet.
    Nach einer Weile wurde die Außenbeleuchtung über der Haustür eingeschaltet.
    Aira ließ uns ein. Sie fragte nicht nach dem Zweck unseres Besuchs, sondern führte uns teilnahmslos in Elinas Zimmer. Es kam mir vor, als wäre es gar nicht Aira, die uns voranging, sondern nur eine leere Hülle, aus der alles Fühlen und Denken entwichen war, vielleicht dahin, wohin Elina bereits gegangen war. In dem großen Haus wirkte die leere Stille noch bedrü-
    ckender als in einer verlassenen Einzimmerwohnung. Ich klopfte in der Diele geräuschvoll den Schnee von den Schuhen und sprach unnötig viel und laut mit Palo, obwohl ich wusste, dass es nichts half. Airas Trauer war unübersehbar, sie zeigte sich in ihren schwerfälligen Bewegungen, sie hatte neue Falten in ihr Gesicht gezogen, die grauen Haare dünn werden lassen und die breiten Schultern zusammengedrückt. Sie öffnete uns die Tür zu Elinas Zimmern. Ich warf einen Blick durch das Wohnzimmerfenster mit seinen Spitzengardinen, dann ging ich ins Schlafzimmer und zog die Jalousie hoch. Draußen herrschte völlige Dunkelheit, vom Wohnzimmer aus sah man immerhin einen schwachen Lichtschein am fernen Seeufer. Erst als ich die Deckenlampe ausknipste, nahm die Dunkelheit Formen an. Das Licht aus Airas Zimmer und aus der Küche wurde vom Schnee zurückgeworfen, es machte die Mauer und den dahinter liegenden Wald sichtbar.
    »Palo, geh mal draußen an diesem Fenster vorbei. Erst innerhalb der Mauer, dann außerhalb. Ich möchte sehen, ob man von hier aus erkennen kann, wenn sich vor dem Haus

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