Lehtolainen, Leena
zu der munteren Pflegerin, die mich überreden wollte, mit dem Schwachkopf aus dem Nachbarzim-mer Monopoly zu spielen. Monopoly! Aufs Klo kamen sie nicht mehr mit, seit ich gelernt hatte, mein Geschäft allein zu erledigen. Das Krafttraining mit den Fünf-Kilo-Hanteln machte sich bezahlt, nur mit der Technik hatte ich anfangs Probleme.
Es gab so viele Gründe, nicht weiterzuleben: dass ich vor dem Gegacker von Leuten wie Sara, meinem Vater oder der Beschäf-tigungstherapeutin nicht davonlaufen konnte. Dass die Menschen mich bemitleideten. Dass ich nie mehr ficken konnte.
Dass ich zwei Menschenleben auf dem Gewissen hatte.
Die Ärzte und die Krankenschwestern versuchten zu behaupten, es bestünde noch Hoffnung, und zwangen mich, an der Rehatherapie teilzunehmen. Dabei wollte ich nur raus aus dieser verdammten Klinik, die voll von Behinderten war. Gesunde sah man nur auf dem Hof, wenn sie irgendwen besuchten. Am liebsten hätte ich mit brennenden Streichhölzern nach ihnen geschmissen.
Gestern kam eine dieser penetrant fröhlichen Pflegerinnen, um mich zur Heilgymnastik zu holen. Sie hatte hüpfende Brüste, die meinen Rücken streiften, als sie meinen Rollstuhl schob. Ich sagte, ich könne mich selbst in den Gymnastikraum rollen, aber sie schob mich einfach weiter. Natürlich nur, um mich zu quälen. Sie wusste genau, dass sich bei mir nichts regt, egal woran sie ihren Busen reibt.
Die Physiotherapeutin, ein vertrocknetes fünfzigjähriges Weib mit schmalen Lippen, machte sich an meinen kraftlosen Beinen zu schaffen und murmelte vor sich hin. Am liebsten hätte ich ihr die Faust ins Gesicht geschlagen. Während sie meine Schenkel knetete, stellte ich mir vor, wie sie rücklings zu Boden ging, wie ihre schmalen Lippen aufplatzten und anschwollen, wie sie einen Zahn verlor und nur noch nuscheln konnte …
Meine nackten Beine sah ich mir lieber gar nicht an. In den paar Monaten waren sie dünn und eigenartig geworden, die Haut hing in Falten über den Knochen wie bei einem alten Mann.
Meine Arme waren allerdings kräftig wie immer, ebenso die Bauchmuskeln, die trainierte ich natürlich auch. Meinen Rücken konnte ich nicht sehen, weil die Lehne des Rollstuhls das Spiegelbild verdeckte.
Ich hörte, wie mein Schwanz bei der Massage rhythmisch hin und her schwang. Das nutzlose Ding hätten sie mir besser gleich abgeschnitten. Pinkeln konnte man sicher auch durch irgendein Loch, wie die Frauen.
»Und jetzt trainieren wir wieder die Beinmuskeln«, komman-dierte die Physiotherapeutin. »Heb dein linkes Bein. Konzentrier dich. Na also …«
Wahrscheinlich bewegte es sich ein bisschen, zwei oder drei Zentimeter, wie schon seit einem Monat. Nach so langer Zeit gab es keine Heilung mehr, das wussten alle. Trotzdem mussten sie mich demütigen und mich an jedem verdammten Tag daran erinnern, dass ich ein Krüppel war.
»Gut … Und nochmal. Versuch, es noch höher zu heben.«
Ich gab mir alle Mühe, aber das verfluchte Bein hob sich nicht.
Ich war so wütend, dass ich mit der Faust darauf schlug. Die Faust tat mir weh, das Bein nicht.
»Aber nicht doch, Kaitsu«, besänftigte die Therapeutin. Dabei sah ich ihr an den Augen an, dass sie mir am liebsten eine geknallt hätte. »Probieren wir es …«
»Nein, verdammt nochmal!« Ich packte die Griffe der Gym-nastikliege und zog mich herunter, obwohl mir beim Aufprall ein beißender Schmerz durch Rücken und Schultern fuhr. Ich versuchte, das Weibsstück am Bein zu fassen, doch sie wich mir aus. Wutentbrannt wälzte ich mich über den Boden und warf mit allem um mich, was ich zu fassen bekam: Therapiebälle, Gymnastikstäbe, Gummibänder. Die Trutsche redete eine Weile auf mich ein, dann rief sie die Sanitäter.
Ich wusste, wie lächerlich das Randalieren war. Ein beinloser Kerl, der auf dem Boden herumrobbt wie eine Mischung aus Boa und Krokodil. Sie banden mich für die Nacht am Bett fest und pumpten mich mit Beruhigungsmitteln voll, bis ich einschlief. Scheiße, hätten sie mir doch aus Versehen eine Überdosis gespritzt! Was Besseres hätte mir nicht passieren können. Am nächsten Morgen kam die Oberschwester und fragte, ob ich mit dem Psychologen reden wolle. Nein, sagte ich.
Als sie mir wieder erlaubten, im Stuhl zu sitzen, nahm ich das Buch zur Hand. Mein Körper gehörte mir nicht mehr, weder im Hemd noch in der Hosentasche konnte ich etwas verstecken, wahrscheinlich nicht mal im Arschloch. Ich hatte lange überlegt, wohin ich die Pillen tun sollte. Im Laptop
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