Lehtolainen, Leena
zupfte am Gummizug seiner langweiligen blauen Hose herum. Auf seinem Handrücken und der knochigen Stirn traten die Adern hervor.
»Ich bin müde«, sagte er unvermittelt. »Bitte, geht jetzt.«
Das fand ich ziemlich unhöflich. Kaitsu suhlte sich ganz offensichtlich in Selbstmitleid und leitete aus seiner Behinderung das Recht ab, mit seinen Mitmenschen umzuspringen, wie es ihm gerade einfiel. Großzügig, wie ich bin, verzieh ich ihm und versprach ihm ein wunderschönes Mitbringsel von den Malediven.
»Leider ist mein Koffer zu klein, um dir ein Inselmädchen mitzubringen«, lachte ich und drückte ihn fest. Immerhin würde ich ihn wochenlang nicht sehen.
»Wie konntest du dich unterstehen, in Kaitsus Beisein von Tennis und Schwimmen zu reden!«, giftete Sirkka, sobald wir auf der Straße standen.
»Was ist denn dabei? Wir können Kaitsu nicht für den Rest unseres Lebens mit Samthandschuhen anfassen und unsere Zunge im Zaum halten, wenn er dabei ist.«
»Wann hättest du deine Zunge je im Zaum gehalten?«
»Ich bin eben keine Heuchlerin wie ihr!«
»Na schön, dann hab ich auch keine Lust mehr zu heucheln!
Mir steht dein ewiges Ich-ich-ich bis hier! Du hast nicht ein einziges Mal gefragt, wie es mir geht, wie ich damit fertig werde, wenn Kaitsu doch nicht wieder gesund wird und ich ihn mein Leben lang pflegen muss. Viel Spaß auf den Malediven!
Bei mir brauchst du dich erst wieder zu melden, wenn du gelernt hast, zuzuhören.«
Damit drehte sie sich um und ging davon, fast im Laufschritt und obendrein in die falsche Richtung. Ich hatte keine Lust, ihr nachzurennen. Offenbar steckte sie tief in den Wechseljahren.
Sie würde ihren Ausbruch schwer bereuen, falls mein Flugzeug entführt wurde. Ich nahm mir vor, erst nach der Reise wieder an sie zu denken. Die Lebensphilosophie von Scarlett O’Hara hat mir immer schon gefallen. Scarlett biss sich immer durch, genau wie ich.
In der Mäkelänkatu hielt ich ein Taxi an und fuhr nach Hause, wo meine Bilder auf mich warteten. Ich hatte es endlich geschafft, sie aus dem Atelier der Volkshochschule zu holen, nachdem ich tagelang um sie gebangt hatte, da ich fürchtete, irgendein Neider würde sie absichtlich beschädigen. Vielleicht sollte ich sie versichern, immerhin waren sie meine geliebten Kinder. Wieso schwafelte Veikko eigentlich neuerdings von leiblichen Kindern? Er müsste doch besser als jeder andere verstehen, dass einer Künstlerin nur die Kunst etwas bedeutet, Männer, Kinder und sonstige Banalitäten sind nebensächlich.
Auf einem der Bilder schwebt ein Engel mit schwarzroten Haaren über der Gefängnismauer. Es war gleich nach Katjas Party entstanden. Ich finde es erschütternd, dass Katja in dieser entsetzlichen Gegend wohnt und tagtäglich die über den Hof schlurfenden Mörder, Diebe und Vergewaltiger vor Augen hat.
Ihre Probleme werden durch diesen Anblick jedenfalls nicht geringer, wie ihr jeder Feng-Shui-Experte bestätigen kann. Katja sucht regelrecht nach Schwierigkeiten, sie ist keine Überlebens-künstlerin wie ich.
Ich sehe schon die Zeitungsartikel vor mir, die nach meiner Kunstausstellung erscheinen werden: »Sara Selin – eine Frau setzt sich durch.« An sich hatte ich sie bereits nach dem Dokumentarfilm erwartet, aber die Zeitungen schreiben lieber über halbverhungerte Fotomodelle und Eishockeyspieler mit Rosi-nenhirn. »Sara Selin kämpft sich durch. An den entsetzlichen Erfahrungen, die sie in ihrem Leben machen musste, wäre ein schwächerer Mensch zerbrochen, doch Saras positive Lebens-kraft half ihr selbst über die schwersten Schicksalsschläge hinweg: über die Ermordung ihres Vaters und den Selbstmord ihres Bruders ebenso wie über das tragische Los ihres Neffen, der nach einem Autounfall querschnittgelähmt ist.«
Am Tag vor meiner Abreise rief Juhani an. Inzwischen konnte ich überhaupt nicht mehr verstehen, was ich im Herbst an diesem vertrockneten alten Knacker gefunden hatte, dessen Gemälde so braungelb und schlaff waren wie er selbst. Juhani hatte seine kleinkarierte Frau wahrlich verdient. Doch nun brachte er es fertig, mich hundertprozentig zu überraschen.
»Sara, ich habe mich entschieden. Ich werde Marita verlassen.
Ohne dich kann ich nicht leben. Ich habe die ganze Zeit an dich gedacht! Dass ich so leidenschaftlich empfinden kann, hätte ich mir nie träumen lassen!«
Man hätte mich mit einer Feder umstoßen können. Von Lei-denschaftlichkeit hatte ich bei Juhani nie etwas bemerkt.
»Eure Ehekrise
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