Lehtolainen, Leena
kurz gewohnt. Die Orchideen waren alle eingegangen, erzählte Yazu.
Er hatte mit Mutter und Veikko meine Sachen aus der Wohnung geholt. Für mich gab es kein anderes Zuhause mehr als das Rehazentrum. Über Ostern kamen Mutter und Katja mich fast jeden Tag besuchen. Katja hatte sich irgendwie verändert, sie lachte mehr als früher. Woher nahm sie das Recht zu lachen, wenn ich meine verdammten Beine nicht mehr bewegen konnte?
Ihre Freunde hatten mir neue Platten geschickt. Ein paarmal hatte ich den CD-Player in meinem Zimmer absichtlich voll aufgedreht. Meine verkalkten Bettnachbarn wollten immer nur Blasmusik hören.
Irgendeine Sozialtherapeutin sprach mit mir darüber, was ich für Alternativen hatte – zu Mutsch ziehen oder in irgendein Pflegeheim für Behinderte. Sie sagte, ich soll mir überlegen, was ich will. Ich verriet ihr nicht, dass ich meine Entscheidung längst getroffen hatte.
Am Ostermontag kam Yazu abends vorbei und rollte mich nach draußen, um eine mit mir zu paffen. Der Mond stand am Himmel, er war zu drei Vierteln voll und bog sich wie ein halb geöffneter Frauenmund. Das Stäbchen schmeckte verdammt gut, ich bekam fast einen Schwips davon.
Yazu hatte mir Schmerz- und Beruhigungspillen mitgebracht und dazu ein paar Gramm Morphium, die ich ihm zurückgab, weil ich keine Spritze hatte. Die hätte ich nirgendwo verstecken können, außerdem ekelte es mich, mir den Stoff in die Adern zu jagen. Nach meinen Berechnungen hatte ich sowieso fast genug beisammen. Wenn ich in den nächsten Tagen noch ein paar Schlaftabletten abzwackte, konnte ich in dieser Woche den Abgang machen. Ich überlegte, ob ich es Yazu sagen sollte. Er hatte vielleicht nicht begriffen, dass ich es ernst meinte.
Es roch wie immer in den ersten Frühlingsnächten, wenn die Temperatur knapp unter null gesunken war. Ich erinnerte mich, wie es war, in unterschiedlichen Nächten zu fahren: in dunklen Herbstnächten, im winterlichen Schneeregen, in Sommernächten bei Sonnenaufgang. Das war es, was ich am meisten vermisste –
die langen Fahrten, allein im Auto, mit voll aufgedrehter Stereoanlage. Ohne Beine war es damit vorbei, als Beifahrer erlebt man die Geschwindigkeit nicht auf die gleiche Weise. Sie verschafft einem nur Genuss, wenn man selbst aufs Gas tritt.
»It is just the beginning of the end«, sagte Yazu plötzlich. Es dauerte eine Weile, bis ich das Him-Zitat erkannte. Offenbar hatte Yazu doch begriffen, dass es mir Ernst war. Es war leichter, das Gespräch in seinem Stil weiterzuführen, daher konterte ich mit einer anderen Him-Zeile:
»But already we’re considering escape from this world.«
Ich sah nicht viel mehr von Yazu als die kleine gepiercte Nase und das wirre Haar. Seine Zigarette glühte heftig auf, dann drückte er sie aus.
»Wann?«, fragte er, und ich wusste nicht, ob auch das ein Zitat war oder von ihm stammte.
»Bald.«
»Scheiße.« Er stand auf und ging zur Straße. Ich dachte schon, er würde sich verdrücken und es mir überlassen, wie ich zurück ins Haus kam, doch nach einigen Schritten machte er kehrt. Er war ein gutes Stück kleiner als ich und hatte trotz Krafttraining kaum Muskeln entwickelt. Nachdem er mich zum Aufzug geschoben und auf den Knopf gedrückt hatte, sah er mich lange an.
»Scheiße«, sagte er wieder und wischte sich über die Nase.
Dann ging er.
Ich wartete bis Freitag, weil sich herausgestellt hatte, dass der eine aus unserem Zimmer das Wochenende zu Hause verbringen würde und der andere eine Etage nach unten verlegt wurde. Bei dem, der nach unten umzog, handelte es sich um den Kerl mit den Verdauungsproblemen, und eine Weile freute ich mich über die Luftverbesserung. Dann ging mir auf, dass das für mich keine Rolle mehr spielte.
Mutsch hatte mich am Dienstagabend besucht und wollte erst am Samstag wiederkommen. Auch das war gut, denn am Dienstag hatte ich noch nicht gewusst, dass ich mich am Freitag davonmachen würde, und mich infolgedessen garantiert nicht auffällig benommen. Sie hätte sonst womöglich etwas geahnt.
Den Brief schrieb ich erst am letzten Abend, damit er nicht zu früh gefunden wurde. Als die Schwester mir in den Schlafanzug geholfen hatte, bereitete ich mich auf den Klobesuch vor. Ich nahm »American Psycho«, ein Stück Papier und einen Stift mit.
Wasser konnte ich aus dem Hahn trinken.
»Das Buch lassen wir lieber im Zimmer«, sagte die Karbol-maus, als ich in Richtung Klo rollte. Sie war eine von den Neugierigsten, fasste mich dauernd an
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