Lehtolainen, Leena
Stimme war klein und ver-schwommen.
Im Musikinstitut rannte ich dreimal zur Toilette, bevor ich an der Reihe war. Viivi hatte eine Vier plus bekommen, das würde ich nie schaffen. Die Prüfung war öffentlich, doch ich hatte niemanden dazu eingeladen. Im Publikum saßen allerdings einige Schüler des Instituts, unter ihnen auch Viivi, die mir aufmunternd zulächelte. Der Vorsitzende der Jury fragte, ob ich den obligatorischen Vaccai am Anfang oder zum Schluss singen wolle. »Am Anfang«, sagte ich. Bei der Auslosung hatte ich Glück, ich bekam eine leichte Terzübung, die meine Gesamtnote allerdings kaum verbessern würde. Meine Stimme gehorchte mir noch immer nicht ganz, doch die Spannung löste sich allmählich.
Die antike Arie war zu schwer. Die Phrasierung ging mir daneben, weil ich häufiger Luft holen musste als vorgesehen.
Danach war das schwierigste Stück der Prüfung an der Reihe, die Arie »Stride la vampa« aus dem Troubadour, bei der genau das passierte, was ich erwartet hatte: Die Koloraturen kamen nicht klar heraus, und ich traf nicht alle hohen Töne. Aber wenigstens war das Entsetzen in meiner Stimme echt.
Dann »Es ist vollbracht« aus Bachs Johannes-Passion. Das Klavier, das die Einleitung spielte, hatte nicht den weichen Klang der Viola da Gamba aus der Orchesterfassung, doch ich versuchte mir die zarten, streichelnden Töne hinzuzudenken. Ich dachte an Kaitsu, an den Tod, der die Hand nach ihm ausge-streckt hatte und dann doch nicht gekommen war. Plötzlich hatte ich meine Gefühle und meine Stimme unter Kontrolle. Ich wusste, wie die Arie klingen musste: zuerst klagend und dann wie strahlendes Licht. Bei dem Lied »Zueignung« von Richard Strauss erreichte ich auf einmal den Zustand, in den ich bisher nur einige Male gelangt war, wenn ich allein sang: Mein ganzer Körper klang, der Gesang kam tief aus meinem Innern und gleichzeitig von außerhalb. Das Merikanto-Lied, mit dem ich endete, war leicht. »Ich bin des toten Sängers Seele, komme von der Erde hienieden, nicht Glück, nur wundersame Sehnsucht war jemals mir beschieden. Geblendet sind meine Augen von meiner Träume Licht, lass sie mich wieder sehen, Glück verlang ich nicht.« Die Worte waren von Lauri Pohjanpää. Beim letzten langen E verstand ich, dass Pohjanpää sich gründlich geirrt hatte.
Ich ging auf den Flur, während sich die Jury beriet. Der Schweiß lief mir den Rücken herunter, und ich hatte Durst. Ich wusste, dass ich bei den ersten drei Stücken miserabel gewesen war, doch danach hatte ich gut gesungen. Auf dem Flur herrschte Hochbetrieb, denn die Geigen- und Klavierprüfungen waren ebenfalls im Gange. Nervöse Eltern standen in der Eingangshal-le herum, wo ich mir Wasser holte. Irgendjemand grüßte mich, vielleicht hielt man mich für eine besorgte Mutter und nicht für eine Studentin. Es war mir gleichgültig.
Die Jury beriet sich lange, und ich wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Meine Nervosität kehrte zurück, obwohl ich mir immer wieder sagte, dass die Note keine Rolle spielte. Ich wollte mich weder an der Sibelius-Akademie bewerben noch beim Opernchor in Savonlinna, es genügte, die Prüfung irgendwie zu bestehen. Ganz egal, wie es ausging, zur Belohnung wollte ich mir ein paar Flaschen Bier gönnen, vor allem, da mir am Morgen plötzlich aufgefallen war, dass ich seit längerem nichts getrunken hatte. Zwei Tage zuvor hatte unsere Band geprobt, aber wir waren danach alle zu erschöpft gewesen, um uns noch in eine Kneipe zu setzen. Die anderen hatten zum Glück Verständnis dafür gehabt, dass ich meine Stimme so kurz vor der Prüfung nicht strapazieren konnte. Dafür wollte ich bei der nächsten Probe umso wilder losröhren. Bei einigen Songs hatte ich außer Gitarre auch Keyboard gespielt, denn dafür hatte sich bisher noch niemand gefunden. Ich durfte im Studio proben, sooft ich wollte, auch für die Gesangsprüfung hatte ich dort geübt, obwohl die Akustik sich eher für elektrisch verstärk-te Musik eignete.
Wir hatten unter anderem mein Gefängnislied gespielt, dazu das von dem Mädchen aus Matinkylä und Kodes neuen Song
»Die himmlische Band«, den ich zu gern Kaitsu vorgesungen hätte. »Geht noch nicht in die himmlische Band, so viele Songs, so viele Bühnen warten noch auf euch. Geht nicht zu Joey, Johnny Thunder und Andy in die himmlische Band.« Auf meine Frage, wer Andy sei, hatte Kode geantwortet, das wäre nur ein beliebiger Name.
Es ging mir in letzter Zeit zu
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