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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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war, aber ich nahm sie auf, wie alle Episoden, die ich verpasste. Ich hatte mir die Folge mindestens zehnmal angesehen, denn wenn ich Ismos Trauer um seine Tochter verfolgte, konnte ich meinen eigenen Kummer leichter ertragen.
    Manchmal weinte ich sogar mit ihm. Ich wusste, dass der Schauspieler im richtigen Leben selbst Kinder hatte, er konnte sich also in die Situation einfühlen. Der Gedanke, dass jemand so empfand wie ich, war eine Art Medizin. Ich suchte dieses Gefühl in Büchern und Fernsehsendungen, weil ich es nicht ertrug, mit meinen Empfindungen ganz allein zu sein. Alle meine Angehörigen, selbst meine eigenen Kinder, waren anders als ich.
    Dann starb Prinzessin Margaret und kurz darauf die Königin-mutter. Ich beweinte beide so sehr, dass ich mich fast genierte.
    Wie wurde Königin Elizabeth mit alldem fertig? Ich fühlte mich ihr nahe, denn wir hatten etwas gemeinsam. Weder ihre noch meine Kinder waren glücklich, obwohl Katja momentan ihr Leben besser im Griff zu haben schien als seit langem.
    Am Vortag des Ersten Mai fuhr ich nach der Arbeit gerade-wegs nach Hause und freute mich aufs Nichtstun. Der Bus war voller betrunkener Jugendlicher, von denen mir einer im Vorbeigehen Cider auf den Mantel kleckerte. Zu Hause rieb ich lange an dem Fleck herum. Katja wollte mit dem jungen Kalmanlehto in den Mai feiern. Ich hatte mir große Mühe gegeben, die Annäherungsversuche zu vergessen, die Arto, sein Vater, damals gemacht hatte. Hoffentlich war der Sohn anders.
    Wenn sich zwischen Katja und dem jungen Kalmanlehto etwas anbahnte, würde ich zwangsläufig irgendwann auch wieder mit Arto und seiner jetzigen Frau zusammentreffen.
    Ich hatte gerade die neueste Folge von »Verheimlichtes Leben« gesehen und wollte mir den Schlafanzug anziehen, als das Telefon klingelte. Es war Eero, der sich nach Kaitsu erkundigte.
    Niemand hatte daran gedacht, ihn über den Selbstmordversuch zu informieren, und auch ich hielt es nicht für nötig. Sollte der Junge sich selbst mit seinem Vater in Verbindung setzen, wenn er wollte. Nachdem Eero mich verlassen hatte, hatte ich mir immer wieder ausgemalt, wie ich ihm eines Tages triumphierend gegenübertreten und ihm zeigen würde, dass auch ich ihn nicht mehr liebte. Aber als es dann so weit war, verspürte ich keine Erleichterung, nur Gleichgültigkeit.
    Ich versuchte zu begreifen, dass am anderen Ende der Leitung tatsächlich der Junge war, den ich im Frühjahr 71, vor mehr als dreißig Jahren, auf einem Ausflugsdampfer kennengelernt hatte.
    Das Mädchen von damals war ich nicht mehr, und auch Eero war ein anderer geworden. Im Hintergrund hörte man schwedischsprachiges Stimmengewirr und Gläserklirren, und Eero sprach so undeutlich wie damals, wenn er betrunken nach Hause kam. Als er schließlich anfing, von vergangenen Zeiten zu sprechen, legte ich auf.
    Die Menschen in den Büchern und im Fernsehen wurde man durch Umblättern oder einen Knopfdruck los. Am liebsten hätte ich auch mein Leben vorgespult bis zu der Stelle, wo Kaitsu wieder laufen konnte und alles im Lot war. Obwohl ich mich freute, dass Kaitsu mit seinen Freunden in den Mai feierte, wie es junge Männer eben tun, machte ich mir doch Sorgen, denn Yazu und die anderen wussten, wie man an Tabletten kam.
    Anfangs war ich erleichtert gewesen, weil Kaitsu geschworen hatte, er wolle den Verräter Yazu nie wieder sehen. Bald hatte er es sich jedoch anders überlegt, und nun holte ausgerechnet Yazu ihn zu einer Party ab. Kaitsu lernte ungern neue Menschen kennen, das hatte er von mir geerbt. Alten Freunden brauchte man nichts zu erklären. Mir waren allerdings nicht einmal die alten Freunde geblieben.
    Der Tag, an dem ich begriffen hatte, dass Eero nicht zurück-kommen würde, war mir in allen Einzelheiten im Gedächtnis geblieben. Der Schlagzeuger seiner Band rief mich damals an und berichtete, Eero sei in Göteborg geblieben und habe gesagt, sie sollten sich einen neuen Gitarristen suchen. Es war November, alles war mit Raureif überzogen, und die Autos auf dem Parkplatz hatten vereiste Fenster. Katja hatte in der Hektik am Morgen ihren Joghurt verschüttet, einige Tropfen waren bis ans Fenster gespritzt. Nach der Arbeit fing ich erst an, die getrock-neten Spritzer abzuwaschen. Der Erdbeergeruch stach mir dabei in die Nase. Katja und Kaitsu guckten eine Kindersendung in unserem alten Schwarzweißgerät. Eero hatte uns zur Olympiade im Sommer einen Farbfernseher versprochen, dann aber doch kein Geld gehabt. Also hatte

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