Lehtolainen, Leena
Schluss, dass Katja unbedingt aufhören musste. Die Leute klatschten höflich, einige sogar richtig laut, doch das war bestimmt ironisch gemeint. Dann begann Katja, »Pfauenauge«
von Hector zu singen. Es klang anämisch. Ich lief zu ihr und stimmte ein, denn meiner Meinung nach muss dieses Lied dramatisch gesungen werden.
»Ich verbannte meine Erinnerung und ließ sie wieder ein. Wie ein Pfauenauge fing ich dich, ans Fenster schlug ein Zweig, was war, wird nie mehr sein.« Ich musste eine Oktave höher singen als Katja, denn ihre Stimme ist furchtbar tief, während ich eine glasklare Sopranstimme habe. Ich hätte durchaus das Zeug zur Opernsängerin gehabt.
»Möchtest du weitersingen?«, fragte Katja, als das Lied zu Ende war. »Sing ruhig allein, ich kann dich begleiten.«
»Ich glaube, wir tanzen jetzt«, sagte ich, doch einer der Männer rief:
»He, Kleine, kannst du Eino Leinos ›Nocturne‹?«
»Die Vertonung von Sarmanto oder die andere?«, fragte Katja, und als der Mann um die bekanntere Fassung bat, fing sie wieder an zu singen, obwohl ganz offensichtlich niemand mehr zuhören wollte. Ich setzte mich zu Juhani und unterhielt mich mit ihm. Katja sang noch eine Menge Lieder, bevor sie endlich Schluss machte. Sie merkte offenbar nicht, dass die Leute tanzen wollten und nur aus Höflichkeit applaudierten und Wünsche äußerten.
Ich legte dann eine Platte von Mariah Carey auf und holte Juhani zum Tanzen. Zuerst wollte er nicht so recht, aber dann kam er doch mit. Über seine Schulter hinweg sah ich, wie Katja ihre Gitarre einpackte, und dachte erst jetzt daran, dass ich ihr versprochen hatte, für sie den Hut herumgehen zu lassen. Aber vielleicht war es besser so, es wäre peinlich gewesen, wenn jeder nur Kleingeld gegeben hätte. Das Wichtigste für sie war wohl, dass sie überhaupt auftreten durfte.
Juhanis Alte zerrte ihren Mann schon nach dem ersten Tanz von mir weg, angeblich, weil der Babysitter nicht länger bleiben konnte. Das war natürlich ein Vorwand. Sie war eifersüchtig, und dazu hatte sie allen Grund. Der jüngere der beiden Männer aus der Keramikgruppe versuchte Katja auf die Tanzfläche zu ziehen. Ich eilte meiner Nichte zu Hilfe.
»Du kannst ruhig schon gehen, es wird sowieso nur noch getanzt. Vielen Dank. Schade, dass niemand recht zugehört hat.«
»Wir waren doch alle begeistert«, wandte der Keramikbursche ein. Seine Brille war zu breit, und er hatte einen hässlichen Mund. »Wir hätten dir gern länger zugehört. Du hast eine tolle Stimme!«
Offenbar war der Typ auf einen Adventsfick aus. Ich sagte zu Katja, ich würde sie zum Ausgang begleiten, doch sie fragte, ob sie jetzt ein Glas Wein bekommen könne, denn vom Singen sei sie durstig geworden. Der Keramikbursche bot ihr Glühwein an, und Katja, die dem Alkohol nie widerstehen kann, nahm dankend an. Ich mochte gar nicht hinsehen, denn sie würde im Handumdrehen betrunken sein und sich blamieren. Obendrein kam auch noch Jutta an und redete aufgeregt über die Breitöpfe, die gespült werden müssten. Wir hatten die Küche nämlich nur unter der Bedingung benutzen dürfen, dass wir sie blitzblank hinterließen.
»Ich kann das auf keinen Fall machen, ich habe eine Spülmit-telallergie«, sagte ich resolut und ging daran, die heruntergebrannten Kerzen auszuwechseln. Das ganze Fest war mir verleidet, nicht einmal gedankt hatte man mir, obwohl ich mein Bestes getan hatte, um den anderen einen schönen Abend zu bereiten. Die tanzenden Paare sahen albern aus, alte Weiber wackelten mit dem Hintern wie junge Mädchen, obwohl ihnen die schlaffen Brüste fast um die Ohren flogen. Ich spielte mit dem Gedanken, irgendwo anders weiterzufeiern, da sah ich Katja auf mich zukommen.
»Du, Sara, hast du eine Sekunde Zeit?«, fragte sie in merkwürdigem Ton.
»Ist es dringend? Ich muss mich auch noch um das Putzen kümmern, das tut ja sonst …«
»Es geht um Großvater.« Sie zog mich aus dem Saal. »Sag mir ehrlich, ist Rane ins Gefängnis gegangen, um jemanden zu decken … Zum Beispiel meine Mutter oder …«
»Oder mich? Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?«
»Na ja, weil du über den Missbrauch gesprochen hast«, stammelte sie.
»Glaubst du etwa, Rane, Mutter und die anderen hätten mich vor einer Anklage bewahrt? Von wegen! Rane war ein egoisti-sches Arschloch, er hätte keinen gedeckt, höchstens ein vollkommen wehrloses Wesen … Zum Beispiel ein Kind.«
Katja wurde kreidebleich und rannte hinaus. Tja. Man erntet, was
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