Lehtolainen, Leena
besorgen.«
Mutter gab keine Antwort. Sara war jedes zweite Weihnachten Vegetarierin, in den Jahren dazwischen erklärte sie, erst der Geruch des gebackenen Schinkens zaubere echte Weihnachts-stimmung herbei. Ich schnitt mir ein großes Stück Fleisch ab, Veikko tat es mir nach.
»Katja, du hast sicher allen erzählt, dass du Karri getroffen hast, nicht wahr?«, fragte Sara.
Katjas Gesicht lief rot an, sie ist immer schon beim kleinsten Anlass rot geworden. Karri war der Typ, der meine Schwester um den Verstand gebracht hat. Es wäre besser für sie gewesen, ihn nie wiederzusehen.
»Nein«, sagte sie in einem Ton, der Sara zum Schweigen bringen sollte.
»Sie ist ihm in der Oper begegnet, und wisst ihr was? Er war mit seinem Lover da!«
Mutter sah die beiden abwechselnd an und machte ein beleidigtes Gesicht: Warum hatte Katja Sara etwas erzählt, wovon sie nichts wusste?
»Ist Karri denn neuerdings …«, fing Mutter an, brachte das verbotene Wort aber nicht über die Lippen.
»Schwul!«, rief Sara fröhlich. »Allerdings, das ist er. Da hättet ihr auch früher drauf kommen können. Ich hab es ihm damals sofort angesehen.«
Katja hatte die Gabel auf den Teller gelegt und trank einen großen Schluck Wein, Mutter ebenfalls. Veikko machte ein komisches Gesicht.
»Also, Katja, jetzt brauchst du Karri nicht mehr nachzutrauern.
Such dir endlich einen anständigen Mann!«, quasselte Sara weiter und prostete Katja zu. »Ich habe übrigens beschlossen, ein Kind zu bekommen. Das ist mein Projekt für nächstes Jahr: Sara wird schwanger. Ich suche mir einen Mann mit den passenden Genen und schreite zur Tat. Das solltest du auch tun, Katja, immerhin wirst du nächstes Jahr schon dreißig.«
»Lieber nicht …«, sagte Katja hastig.
»Ganz ohne Vater?«, fragte Mutter. Sara lachte.
»Aber liebe Sirkka, du weißt doch wohl, dass man dafür einen Mann braucht! Oder hast du schon vergessen, wie es geht?
Wenn der Mann kein Kind will, ziehe ich es alleine groß. Die vollkommene Liebe einer Mutter ist besser als ein gleichgültiger Vater, meint ihr nicht auch, Katja und Kaitsu?«
»Ich wünsche mir zwar Enkelkinder, aber nicht um jeden Preis«, fuhr Mutter auf.
»Und wo willst du deinen Zuchthengst auftreiben?«, erkundigte sich Veikko, stand auf und fragte: »Noch ein Bier, Kaitsu?«
Ich nickte, obwohl ich das vorige erst zur Hälfte getrunken hatte. Die Pille war stärker, als ich erwartet hatte, meine Glieder waren angenehm müde, und ich hatte keinen Appetit. Trotzdem nahm ich eine Portion Steckrübenauflauf zum Schinken.
»Samenspender bleiben ja auch anonym!«, kreischte Sara.
»An gesunden, intelligenten und willigen Männern herrscht kein Mangel.«
»Mutter war traurig, weil sie nur zwei Enkelkinder hatte, und sie hätte zu gern ihre Urenkel noch gesehen«, sagte Mutter leise.
Veikko setzte sich wieder an den Tisch und schnitt eine Scheibe vom Schinken ab.
»Ich will jedenfalls keine Kinder!«, giftete Katja. »Nicht mit meinen Genen!«
»Was ist denn an deinen Genen auszusetzen?«, fragte Veikko sanft.
Katja starrte ihn wortlos an, und Mutter hatte ihre kälteste Miene aufgesetzt. Ihrer Meinung nach trug Eero Tiainen die Schuld an Katjas Problemen. Für mich war dieser Mann kein Vater, und von seinen Genen wollte ich erst recht nichts wissen.
»Katja, du hast zu viel über diesen Mord gegrübelt«, erklärte Sara. Da begann Katja zu schreien:
»Was heißt hier zu viel! Du machst doch dauernd irgendwelche Andeutungen, mal über den, mal über jenen. Warum sagt ihr mir nicht endlich, wer Großvater wirklich ermordet hat!«
Eine Weile war es ganz still, dann redeten alle durcheinander.
»Das Gericht hat Rane schuldig gesprochen, so was passiert doch nicht ohne Grund!«, rief Mutter.
»Katja, eine Therapie würde dir bestimmt guttun, und außerdem …«, fing Sara an, doch Veikko fiel ihr ins Wort:
»Den Schinken hast du prima hingekriegt, Sirkka. Bei Mutter war er nie so saftig.«
Katja stieß ihren Stuhl zurück und rannte aufs Klo. Ich lauschte, hörte aber keine Würgegeräusche.
»Ja, der Schinken ist wirklich gut«, stimmte ich Veikko zu.
»Der Senf ist allerdings sauscharf, der verbrennt einem fast die Schleimhäute.«
Mutter sah mich lächelnd an, doch gleich darauf legte sich ein seltsamer Nebel über ihr Gesicht. Die Toilette rauschte, dann kam Katja zurück. Ihre Wangen waren rot, doch sie roch nicht nach Erbrochenem, sondern nach Wacholder. Meine Schwester hatte einen Flachmann in
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