Lehtolainen, Leena
man gesät hat. Was fiel ihr ein, den Mord an Vati zur Sprache zu bringen. Schlafende Hunde soll man nicht wecken.
Überhaupt finde ich es unerträglich, sich in der Vergangenheit zu suhlen, man muss mit offenen Augen in die Zukunft blicken und …
SIEBZEHN
Kaitsu
… das Leben leichtnehmen. Mutter sah merkwürdig aus, als ich ihr sagte, ich würde am Neujahrstag ausziehen. Jyki, der für ein Jahr nach Brüssel ging, wollte mir seine Wohnung billig überlassen, unter der Bedingung, dass ich mich um seine Orchideen kümmerte. Jyki ist Yazus Vetter und genauso verrückt. Ich habe noch nie von einem erwachsenen Mann gehört, der Orchideen züchtet. Mutter meinte allerdings, irgendein Detektiv aus einem Buch hätte dasselbe Hobby.
Die Weihnachtssaison war in vollem Gang. In sämtlichen Firmen wurde gefeiert, Schneetreiben brachte den Verkehr durcheinander, viele Kollegen holten sich die Grippe, und ich fuhr eine Schicht nach der anderen. Dabei hatte ich die ganze Zeit Angst, die Polizei oder der Taxikontrolleur würden mich dabei erwischen, wie ich viel zu lange am Steuer saß.
Eine Woche vor Weihnachten rief Veikko an.
»Ich hab vor, meinem Nachbarn eine Fichte zu klauen. Hast du Zeit, mich und den Baum an Heiligabend abzuholen?«
»Klar«, sagte ich. Gut, dass Veikko auch kam. Mutter hatte aus irgendeinem Grund einen Rückzieher gemacht und Sara erlaubt, an Weihnachten doch zu uns zu kommen. Das ärgerte mich gewaltig, denn ich hatte mich schon auf ein ruhiges Fest gefreut. Es wäre so schön gewesen, nur zu essen und Fernsehen zu gucken, statt mir die ganze Zeit anzuhören, wie die Frauen die Vergangenheit oder die Zukunft bekakeln.
»Ich kann Mutters Logik einfach nicht begreifen«, sagte ich zu Veikko. »Warum hat sie Sara eingeladen?«
»Neben Sara fühlt sie sich erwachsen und ausgeglichen. Das genießt sie eben«, lachte Veikko. Vielleicht hatte er recht.
Manchmal kommt es mir vor, als wäre Sara Mutters Kind, nicht Katja oder ich.
»Für deine Mutter war die Jugend vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte«, fügte Veikko hinzu. Über Mutters Jugend wusste ich nur, dass sie achtzehn war, als Katja geboren wurde.
Es fiel mir schwer, sie mir als Jugendliche vorzustellen, sie war eben meine Mutter, sonst nichts. Einmal hatte sie Katja und mich gezwungen, uns Fotos anzusehen, die sie als junges Mädchen zeigten. Sie hatte damals eine gute Figur gehabt, aber ihre Kleider waren unglaublich omahaft gewesen.
Ich fuhr wieder los, die Nachtschicht fing an. Der Kaffee brannte mir im Magen. Weihnachtseinkäufe musste ich auch noch machen. Für Veikko ein Geschenk zu finden war nicht schwer, über eine Flasche Kognak freute er sich immer. Mutter hatte sich ein Buch gewünscht, Katja eine CD. Nur was ich Sara schenken sollte, wusste ich nicht. Ein neues Gehirn gibt es leider nirgends zu kaufen.
Nach Mitternacht wurde ich nach Tapiola bestellt. Ich rechnete mit besoffenen Partygästen, doch der Fahrgast wirkte nüchtern.
Es war ein ziemlich kleiner Mann, der mich kurz ansah und dann vorne einstieg.
»Du bist Kaitsu Tiainen, stimmt’s?«, fragte er. »Ich bin Pekka Kalmanlehto, wir waren früher Nachbarn. In letzter Zeit habe ich ein paarmal deine Schwester gesehen, ich wohne ganz in ihrer Nähe. Sturenkatu siebenunddreißig. Fährst du ganztätig, oder ist das ein Nebenjob?«
»Im Hauptberuf.«
Ich erinnerte mich an ihn, seine Familie hatte eine Zeitlang im selben Haus gewohnt wie wir, und seine Mutter hatte manchmal auf Katja und mich aufgepasst. Pekka war nett gewesen, er hatte uns jüngere Kinder nicht geärgert, sondern sogar mit uns gespielt. Trotzdem ärgerte ich mich über seine neugierige Frage.
Was ging ihn mein Leben an?
Ich fuhr auf den Westring und beschleunigte. Kalmanlehto trommelte mit den Fingern auf die Knie. Ich überlegte, ob ich das Radio lauter stellen sollte.
»Wohnst du noch in Matinkylä?«, setzte er die Befragung fort.
»Im Moment wieder, aber ich ziehe bald nach Ruoholahti.«
»Die Gegend hat sich ziemlich verändert, seit das Einkaufszentrum gebaut worden ist.«
Ich brummte zustimmend. Kalmanlehto sah merkwürdigerwei-se genauso aus wie als kleiner Junge, er hatte runde Backen und einen breiten Mund. Seine Schultern verrieten, dass er regelmä-
ßig zum Krafttraining ging. Das tun viele kleine Männer, die etwas zu kompensieren haben.
»Und was machst du so?«, fragte ich unwillkürlich.
»Ich bin Tontechniker und Mixer im Studio Blitz. Kennst du die Gruppe
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