Lehtolainen, Leena
ich niemandem erzählen konnte, was mich so erheiterte.
Vielleicht würde mein Einfall Katja aufmuntern, dachte ich und ging zu ihr. Für alle Fälle nahm ich eine Weinflasche und Gläser mit. Katja stimmte gerade mit mürrischem Gesicht ihre Gitarre.
»Bei dieser feuchten Luft muss ich das verdammte Ding alle zehn Minuten nachstimmen«, klagte sie. »Wenn ich mir doch endlich eine neue Gitarre leisten könnte!«
»Lass dir von deiner Mutter eine zu Weihnachten schenken, sie hat ja jetzt Geld genug«, schlug ich vor. Sirkka mit ihrem krankhaften Geiz gab Katja und Kaitsu natürlich keinen Pfennig ab. Wenn ich Kinder hätte, würde ich dafür sorgen, dass ihnen nie etwas fehlt. Ich hatte als Kind genug entbehren müssen.
»Ich bin inzwischen erwachsen und will mir meine Gitarre selbst kaufen«, fauchte Katja.
»Es gibt gleich Milchreis, möchtest du vor deinem Auftritt auch eine Portion?«
»Nein!«, fuhr sie mich an. Dann setzte sie ruhiger hinzu:
»Davon wird die Kehle so klebrig, dass ich nicht singen kann.
Bitte, Sara, lass mich noch einen Augenblick allein! Hol mich, wenn ihr gegessen habt.«
Wie nervös sie war! Die Leute schlangen ihren Brei herunter, als hätten sie seit Wochen nichts gegessen. Dann war der Weihnachtsmann an der Reihe. Über den Festvorbereitungen, die ganz allein auf meinen Schultern gelastet hatten, hatte ich vergessen, ein Geschenk mitzubringen, fand aber, dass ich mir trotzdem ein Päckchen nehmen konnte. Sollte sich doch eins der Ehepaare ein Geschenk teilen. Ich wählte ein kleines quadrati-sches Paket, das aussah, als enthalte es etwas Schönes, vielleicht ein hübsches Schmuckstück. Es war in rotes, hochwertiges Glanzpapier eingeschlagen, doch das war nur Blendwerk, denn was ich schließlich in der Hand hielt, war ein ganz gewöhnlicher, billiger Flaschenöffner. Jutta hatte dagegen eine niedliche Weihnachtsdekoration bekommen. Ich schlug ihr vor, zu tauschen, doch die gemeine Egoistin weigerte sich.
Dann war Katja an der Reihe. Ich hatte ihr geraten, mit einem sicheren Hit anzufangen, und das tat sie auch, sie sang als erstes
»Yesterday« von den Beatles, doch dann ging sie zu Bob Dylans
»Blowin’ in the Wind« über, weil dieses Lied bei der heutigen Weltlage angeblich hochaktuell war. Auf einer Adventsfeier soll man nun wirklich nicht an Kriege denken, finde ich! Als Nächstes sang sie eins ihrer eigenen Lieder, eine Ballade, in der es um moderndes Laub ging. Die Stimmung sank bedrohlich, die Leute sahen geistesabwesend aus. Auch Juhani gähnte.
Ich trank noch etwas Wein und stellte mich dann neben Katja.
»Und jetzt spielen wir gemeinsam ›Die Kerzen erlöschen‹, ich bringe euch die Erwachsenenversion bei«, kündigte ich be-schwingt an.
»Jetzt schon?«, flüsterte Katja. Ich winkte ab und bat sie, die Noten herauszusuchen. Bei der Version für Erwachsene wird derselbe Text gesungen wie sonst auch, aber man macht dazu allerlei neckische Bewegungen, berührt sich gegenseitig an der Brust und so weiter. Die meisten kicherten fröhlich, nur einige zogen ein säuerliches Gesicht, darunter natürlich Jutta und Juhanis Frau. Ich schlug vor, noch einige andere Weihnachtslieder gemeinsam zu singen, dann wäre Katja wieder an der Reihe.
Irgendwer moserte, weil die Texte für das gemeinsame Singen nicht kopiert und verteilt worden waren, aber ich brachte ihn mit der Bemerkung zum Schweigen, es gehöre zur Allgemeinbil-dung, Weihnachtslieder auswendig zu können.
Katja stimmte ihre Gitarre für das weitere Programm. Wieder einmal stellte ich fest, dass ihr das nötige Charisma fehlt.
Vielleicht sollte ich mir überlegen, selbst wieder als Sängerin aufzutreten. Die Popstars und Tangokönige von heute sind doch die reinen Schaufensterpuppen, sie singen ohne Glut.
Ich ging zur Toilette, um mein Make-up aufzufrischen, und als ich zurückkam, sang Katja gerade »Memory« aus dem Musical
»Cats«. Nach wie vor schienen alle wie erstarrt, nur die Wein-gläser leerten sich rasch. Vielleicht war es das Beste, bald mit dem Tanz zu beginnen, obwohl Katja sich auf einen längeren Auftritt eingestellt hatte. Als sie wieder mit einem ihrer eigenen Lieder anfing, hätte ich sie am liebsten sofort unterbrochen. Die Melodie war viel zu kompliziert, überhaupt nicht zum Mitsingen geeignet. Ich holte in der Küche ein Glas, ging zu Juhani und schenkte ihm Wein ein. Seine Frau schüttelte den Kopf, aber er selbst schien sich zu freuen. Ich setzte mich neben ihn und kam zu dem
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