Lehtolainen, Leena
der Handtasche!
»Wie war denn dein Auftritt bei Saras Adventsfeier?«, erkundigte sich Veikko bei Katja, die Kartoffeln und Heringe in sich hineinstopfte.
»Ganz …«, fing sie an, doch Sara unterbrach sie.
»Die bornierten Hobbykünstler hatten anscheinend kein Verständnis für gute Musik.«
»Ach. Ich fand eigentlich, es lief gut«, sagte Katja verwundert.
»Viele haben sich hinterher noch persönlich bedankt. Denkt daran, dass ich gern noch mehr Auftritte übernehme. Vor der Abschlussprüfung im Einserkurs muss ich unbedingt Routine gewinnen.«
»Ist das eine öffentliche Veranstaltung?«, wollte Veikko wissen.
»Ja. Ich würde mich freuen, neben der widerwärtigen Jury ein paar freundliche Gesichter im Publikum zu sehen.«
Der heimliche Drink hatte Katja offenbar gestärkt, jedenfalls kam sie nicht mehr auf den Mord zurück. Veikko fragte Mutter nach den Herbstbestsellern, und Katja aß. Sara starrte mich so lange an, dass es mir ungemütlich wurde. Mit ihrem leeren Blick und den unablässig mahlenden Kiefern erinnerte sie an eine Kuh.
»Also, ich muss schon sagen, Kaitsu sieht genauso aus wie unser Rane. Komisch, dass du gar keine Ähnlichkeit mit Eero hast. Du könntest glatt Ranes Sohn sein.«
»Aha, eine neue Inzesttheorie«, murmelte Veikko halblaut. Ich lachte auf, obwohl ich größte Lust hatte, Sara den Mund zu verbieten.
»Wenn ich einen passenden Erzeuger für mein Baby finde, kann ich ihn dir ja weiterreichen, Katja. Wir haben sowieso zu einem Viertel identische Gene, und wenn unsere Kinder denselben Vater hätten, wären sie beinahe Geschwister. Wir könnten sie gemeinsam aufziehen und uns bei der Pflege abwechseln, wäre das nicht praktisch? Oder weinst du etwa immer noch diesem Karri nach?«
»Garantiert nicht, aber Babypläne habe ich auch nicht! Lass mich endlich mit dem Thema in Ruhe!«
»Ach so, entschuldige, daran hatte ich gar nicht gedacht …«
Sara machte ein entsetztes Gesicht und schlug die Hand vor den Mund. »Natürlich, die Bulimie … Womöglich kannst du gar keine Kinder kriegen. Wie furchtbar …«
»Wer nimmt den Rest vom Steckrübenauflauf, damit ich die zweite Form aus dem Ofen holen kann?«, fragte Mutter. Da niemand antwortete, klatschte sie mir das Zeug auf den Teller.
Ich trank mein Bier aus und setzte gleich die nächste Flasche an.
Das Gefühl, locker über allem zu schweben, verstärkte sich, obwohl mir das Essen bereits schwer im Magen lag. Auch Sara war endlich still und konzentrierte sich aufs Essen. Ich brauchte erst am nächsten Morgen um acht wieder Taxi zu fahren, hatte also Zeit, mich zu entspannen.
Als alle pappsatt waren, erklärte Katja, sie würde mit mir den Tisch abräumen und Kaffee kochen. Wahrscheinlich wollte sie Mutter das liebe Töchterlein vorspielen. Die anderen gingen ins Wohnzimmer, wo der Kaffee serviert werden sollte. Wir stellten das Geschirr zusammen, Veikko ging mit seiner Pfeife auf den Balkon, und Sara wollte unbedingt ein paar Minuten Fernsehen gucken. Katja machte die Küchentür zu und öffnete ihre Handtasche.
»Magst du?«, fragte sie und hielt mir den Flachmann hin. Ich nahm einen Schluck und stellte fest, dass ich richtig getippt hatte: Es war billiger Gin.
»Du hast Karri also wiedergesehen?«, fragte ich.
»Ja, in der Oper. Er hat mich an die Haltestelle begleitet, und vor ein paar Tagen hat er mir eine Mail geschickt«, flüsterte Katja und goss sich Gin in den Hals. »Er möchte sich nochmal in Ruhe mit mir treffen.«
»Geh dem Schwuli bloß aus dem Weg!«
Ich wusste selbst nicht, warum ich so wütend war. Ich hatte nur daran denken müssen, wie Katja damals kaputtgegangen war und niemand ihr helfen konnte. Daran war nur dieser Scheißkerl schuld gewesen. Es ist erschreckend, wenn ein Mensch, den man sein Leben lang gekannt hat, sich plötzlich total verändert, offiziell für verrückt erklärt und in Therapie geschickt wird. Bei meiner Abiturfeier machte Katja einen großen Bogen um alle Kuchen und Torten. Sie behauptete, wenn sie einmal anfinge, etwas Süßes zu essen, könne sie nicht mehr aufhören. Zum Glück war sie mittlerweile schon seit längerem wieder normal.
Katjas damalige Therapeutin wollte auch mich kennenlernen, und Mutter zwang mich, hinzugehen. Das war echt die Hölle.
Statt über meine Schwester zu reden, fragte die Seelenklempne-rin mich nach meinen Privatangelegenheiten aus, nach Freundinnen und so weiter. Ich log das Blaue vom Himmel runter. Dass ich Katja ins Gesicht gesagt
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