Leibhaftig
Eingangstür, die sie leider wird wegwischen müssen, worum ich sie wirklich und wahrhaftig nicht beneide, obwohl ihr Desinfektionsmittel schlimmer als die Pfütze stinkt und obwohl ich nicht voll überzeugt zustimmen kann, daß es nur die Asozialen aus dem dritten Stock sein können, die ihr diesen Tort antun, vorsichtig gebe ich ihr zu bedenken, es könnten auch die Betrunkenen aus dem »Adria« sein, die unseren wegen der beschädigten Eingangstür unverschlossenen Flur als Pissoir benutzen. Ich will mirihr Wohlwollen nicht verscherzen, das ich mir planvoll durch Schmeicheleien und Zuwendungen erworben habe. Cerberus, der Höllenhund, denke ich und stelle sie nicht zur Rede, wenn sie Besucher, die zu uns wollten, auf der Treppe abgefertigt hat: Wir seien nicht da! Insgeheim dachte ich, diese Unverschämtheit mochte auch ihr Gutes haben, da es wahrscheinlich war, daß unter denen, die Frau Baluschek abwies, einige jener Unbekannten waren, die zu jeder Tages- und fast zu jeder Nachtzeit an unserer Tür zu klingeln pflegten, um mir dicke Manuskripte zu übergeben oder Probleme vorzutragen, die oft genug unlösbar waren und mich deprimiert zurückließen, eine Erfahrung, die mich nicht abhalten konnte, auch das sehr junge Paar wieder in den Flur zu bitten, das eines Abends klingelte, und dann dem etwas schiefen hageren jungen Mann viel zu lange zuzuhören, der nur gekommen war, um mich zu beschimpfen, weil ich auf einen Brief mit einem wirren Pamphlet von ihm, den seine Schwester mir gebracht hatte, zu moderat geantwortet hatte, anstatt zu Aktionen gegen den Staat aufzurufen. Als ich ihm zuerst freundlich und verständnisvoll antwortete, fuhr er fort, schiech und verklemmt und leicht hämisch unter sich zu blicken und verstockt zu reagieren, während seine junge Schwester die Augen bewundernd zu ihm aufhob. Unfreundlicher, schärfer, aggressiver fragte ich ihn schließlich, was ich denn seiner Meinungnach hätte tun sollen: Mich an die Spitze einer nicht vorhandenen Bewegung stellen und dann die Leute, die dadurch ins Gefängnis kommen würden, wieder herausholen – vielleicht auch ihn und seine Schwester? Woraufhin er mir, in beleidigenden Worten, Feigheit vorwarf, sich gleich darauf beinahe erschrocken entschuldigte, ich aber, mich künstlich weiter erzürnend, die Gelegenheit nutzte, ihn und seine nun auch bockige Schwester vor die Tür zu setzen – ein einmaliger Vorgang, der mich bis hierher verfolgt, in diesen Schacht, aus dem ich immer noch nicht herausfinde, in dem es aber so eisig geworden ist, daß sie plötzlich von einer Sekunde zur anderen zu zittern anfängt, dann zu schütteln, daß das Bett rasselt und ihre Zähne aufeinanderschlagen, so daß Schwester Evelyn, als sie auf dringliches Klingeln endlich in der Tür erscheint, ausrufen muß: Ach herrje! Auch noch Schüttelfrost!, und wieder verschwindet, dafür im vollen Lauf Schwester Christine hereinkommt, die Decke vom leeren Nachbarbett reißt und über mich wirft, sie um mich feststopft und mich an den Schultern niederdrückt, ich aber schnattere, schüttele und werfe mich vor Frost, das ist nun aber doch das Schlimmste, was ich hier erlebt habe, auch die Wunde, die ich ja nicht ruhig halten kann, schmerzt wieder stärker, es gibt keine Selbstbeherrschung mehr, die mir sonst teuer ist, auch keine Beherrschung der Gliedmaßen.
Nie hätte sie sich in normalem Zustand erlaubt, sich so aufzuführen, so ausfahrend und ausschweifend, so unbescheiden und exzentrisch, nicht einmal verständlich sprechen kann sie mehr, auch ihre Sprachorgane sind von dem Rütteln und Schütteln befallen, es überträgt sich sogar auf Schwester Christine, die sie zu halten sucht, sie schüttelt mit ihr, doch scheint das kein komischer Anblick zu sein, denn der Stationsarzt, der, begleitet von Evelyn, eilig erscheint, bleibt ganz ernst, wie lange das schon so geht, will er wissen, Schwester Christine weiß nur von den letzten zehn Minuten, und sie, die sich schüttelt, hat kein Zeitgefühl, sie bemüht sich gar nicht erst um Zeitangaben, auf einmal hat Schwester Evelyn in einem Tempo, das man ihr nicht zugetraut hätte, eine Sauerstoffflasche hereingeschoben, der Schüttelnden stülpt der Arzt geschickt die Maske über das Gesicht, befiehlt ihr zu atmen, gibt den Rhythmus an, und tatsächlich, allmählich nimmt das Schütteln ab, das Zittern wird schwächer, Schwester Christine kann sie loslassen, ihr ein Thermometer in den Mund stecken, die Zahl, die eigentlich unglaubhaft
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