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Leibhaftig

Leibhaftig

Titel: Leibhaftig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ist, veranlaßt den Arzt, der übrigens Doktor Knabe heißt, zu der Bemerkung: Schöne Bescherung.
    Sie aber hat nun endgültig jede Verantwortung abgegeben, oder sie ist ihr abgenommen worden, gleichviel. Wenn der Chefarzt denkt, er könne sie noch treffen und sie deshalb so zögernd und vorsichtig– übrigens noch in seiner grünen OP -Vermummung – auf die nächsten Maßnahmen vorbereitet, dann irrt er. Sie müsse sich noch einmal einer Computertomographie unterziehen? Er brauche einfach zuverlässige Informationen darüber, ob sich etwa ein neuer Abszeß gebildet habe, und wenn ja, wo? Warum so zaghaft! Nur zu.
    Mich ergreift ein gräßlicher Übermut. Flüchtig geht mir durch den Sinn: Da trachtet mir jemand nach dem Leben. Ich vergesse den Einfall, wie ich in letzter Zeit alle übertriebenen Einfälle vergesse. Nicht gerade arbeitsfördernd, denke ich. Jemand grinst in mir. Nie könnte ich solche Gedankengänge dem Chefarzt unterbreiten, wir sind hier ja nicht in einem Kriminalroman. Nicht einmal dir würde ich solche Sätze zumuten, Lieber, dir zu allerletzt. Dir mute ich jetzt auch hauptsächlich Sätze über das Wetter zu, Sonnen- und Regensätze, denn die schönen eigenartigen Wolkenbildungen kann ich von meinem Bett aus sehen, auch, wie sie den Regen strichweis übers Land schicken, und so sicherlich auch über die Seen, du fährst ja an den Seen vorbei, sogar auf einem Damm, der eine Seehälfte von der anderen trennt, und ich glaube dir gerne, daß es ein merkwürdiger Anblick ist, wenn die rechte Seehälfte unter einem Regenschauer liegt, die linke dagegen in der Sonne glänzt. Die Farben, sagst du. Ja, ich könnte sie mir vorstellen, wenn ich wollte. Oder wenn ich könnte.
    Das Klirren hat übrigens wieder angefangen, die Kämpfe und Schindereien sind wieder im Gange auf meiner inneren Bühne, nun muß ich mir sagen, daß ich nicht dankbar genug war und es nicht gehörig genossen habe, als es aufgehört hatte. Zwar kann ich mir in meiner Zeitlosigkeit ein Aufhören nicht vorstellen, aber das nächste Mal, falls es noch einmal aufhören sollte und es ein nächstes Mal gibt, werde ich mich dankbar der Stille hingeben. Es ist klar, daß auch von diesen Erscheinungen zum Chefarzt nicht die Rede sein kann. Wenn irgend etwas ein für allemal klar ist, so, daß von den wichtigen Dingen überhaupt keine Rede sein kann. Hoffentlich merkst du dir das nun endlich, sage ich mir, hoffentlich ziehst du Konsequenzen aus dieser unwiderruflichen Einsicht, hoffentlich vergißt du nicht wieder, wie die letzte Konsequenz heißen muß, vielmehr, was sie bedeutet. Denn »heißen« kann sie nicht, da sie gerade darin besteht, Benennungen, Namen, Wörter zu meiden: Sie sind falsch. So daß ich, sage ich mir in das Schallern der Eisen, das Jammern der Opfer hinein, falls es mir doch noch einmal einfallen sollte, Wörter zu gebrauchen, in meiner wortsüchtigen Manier, wenigstens wissen und zugeben sollte, sie sind falsch.
    Er werde diesmal dabeisein, sagt der Chefarzt, der schon wieder aufgetaucht ist, jetzt in Weiß, und wenn er glaubt, das sei mir ein Trost, so mag er recht haben. Auch werde ich nichts trinken müssen,versichert er, nicht einmal die Kontrastspritze sei diesmal nötig. Ich nicke und nicke. Er muß sich doch nicht entschuldigen für die Vorgänge in meinem Bauchraum, die sie immer noch nicht im Griff haben, zur Not könnte ich ihm etwas erzählen über die Listen meines Körpers, der mich lahmlegen will, und ich ahne ja, obwohl ich das Letzte noch nicht weiß, nicht wissen will, aus welchen Verbindlichkeiten ich herausgenommen werden soll. Ich erlaube mir den entlastenden Gedanken: Es war eben zuletzt alles ein bißchen viel. Es tut gut, lästerlicher Einfall, es tut trotz allem gut, aus dem Zeitnetz geworfen zu sein, denn eine andere Möglichkeit, niemandem mehr etwas schuldig zu sein, gibt es auf dieser Erde nicht. Der Zeitdruck scheint auf die anderen gelegt, Schwester Margot scheint nun unter Zeitdruck zu stehen, eilig, eilig wechselt sie wieder einmal mein Hemd, das wieder einmal klitschnaß ist, also wirklich, sagt sie, es kann ja kaum noch Flüssigkeit in Ihnen sein, eilig, eilig, aber geschickt schiebt sie mein Bett durch die Gänge und Fahrstuhltüren, sie kennt den Weg, sie läßt sich von den drohend orange blinkenden Computermonstern nicht einschüchtern, die in der Unterwelt wieder ziellos herumirren, in festem Ton sagt sie: Na, benehmt euch!, da bleiben die stehen.
    Sie hat auch mein Krankenblatt

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